Hürden ergründen, Umsetzung vorantreiben
Interview mit Dr. Rolf Schmachtenberg, BMAS, Staatssekretär a. D.
„Reha und Teilhabe – Was ist bisher gelungen und was muss sich noch ändern“?
Positiv sehe ich vor allem das Bundesteilhabegesetz und den damit verbundenen Paradigmenwechsel, der bei allen Reha-Trägern angekommen ist. Die Personenzentrierung ist im Denken und Handeln aller Akteure viel wahrnehmbarer als vor dem BTHG. Auch wenn wir noch nicht am Ziel sind, haben wir es damit doch geschafft, wesentliche Ziele der UN-Behindertenrechtskonvention umzusetzen.

BMAS, Staatssekretär a. D.
Die Beratungsangebote wurden durch die Einführung der Ergänzenden Unabhängigen Teilhabeberatung (EUTB®) deutlich ausgebaut und verbessert, die ICF-Klassifikation ist aus der Reha nicht mehr wegzudenken, Partizipationsmöglichkeiten wurden gestärkt, nur um einige Beispiele zu nennen. Auch auf institutioneller Ebene klappen Abstimmung und Zusammenarbeit der Reha-Träger etwa bei der BAR inzwischen gut; hier muss die Zusammenarbeit der Fachkräfte vor Ort noch nachziehen.
Verbesserungsbedarfe sehe ich vor allem bei Zusammenarbeit, Vernetzung und Steuerung der Reha-Träger im Einzelfall. Das Management von komplexen Bedarfen klappt noch nicht bei allen Trägern gleich gut. Insbesondere, wenn umfassende Bedarfe von mehreren Reha-Trägern zu erkennen und zu decken sind, fehlt es noch an Abstimmung und Koordinierung. Auch bei neuen oder komplexen Bedarfslagen ist das System oft noch schwerfällig. Insbesondere im Bereich von Menschen mit schweren psychischen Beeinträchtigungen brauchen wir z. B. frühzeitig einsetzende, niederschwellige, unterstützende Angebote vor Ort, um Teilhabe zu ermöglichen und Erwerbsfähigkeit zu erhalten. Ich denke hier auch an Eltern von Kindern mit schweren Behinderungen. Hier berichten mir viele Eltern, dass die Verfahren zu lange dauern und viele Leistungen erst spät und nach vielen Nachfragen bereitgestellt werden. Das ist für die Betroffenen zermürbend. Hier muss das System besser und bürgerfreundlicher werden.
Die Arbeit der BAR findet unter komplexen Rahmenbedingungen statt. Wo liegen die Knackpunkte bei der Umsetzung der trägerübergreifenden Zusammenarbeit?
Auf der übergeordneten strategischen Ebene haben wir in den letzten Jahren deutliche Fortschritte gemacht. Hier gibt es bei der BAR überregional und regional gute und etablierte Austauschformate und gemeinsame Konzepte. Leider kommen die guten und abgestimmten Konzepte noch nicht im ausreichenden Maße bei den Betroffenen an, die auf diese angewiesen sind. Bei umfassenden Bedarfen setzen sich die Akteurinnen und Akteure noch zu selten an einen Tisch. Es werden kaum gemeinsame Teilhabepläne entworfen. Nur selten findet ein Austausch über die Teilhabeziele wirklich statt. Hier muss noch einmal genau ergründet werden, wo die Hürden liegen.
Ist es die schlechte Erreichbarkeit? Ist es der mangelnde Mehrwert für den einzelnen Träger? Die Teilhabe des Einzelnen bleibt zu oft hinter der institutionellen Logik des einzelnen Trägers zurück.
Wie müssen die unterschiedlichen Interessen austariert sein, damit beispielsweise Reha-Teams vor Ort (bei Trägern und Erbringern) gesetzliche Regelungen umsetzen können, sprich: ihre Arbeit tun können?
Es braucht gute und ansprechende Arbeitshilfen, die leicht auffindbar und für alle klar, verständlich und zugänglich sind. Ich möchte ein Beispiel aus einem anderen Bereich nennen – das Betriebliche Eingliederungsmanagement. Es gibt unbeschreiblich viel Literatur, Beratung und Angebote, trotzdem gelingt es nur sehr langsam, mehr kleine und mittlere Betriebe von der Einführung und dauerhaften Nutzung des BEM zu überzeugen. Warum ist das so? Meines Erachtens fehlt es den meisten an Klarheit: Warum sollte ich als Handwerkerbetrieb mit fünf Beschäftigten ein BEM einführen? Wie führe ich ein gutes BEM mit wenigen Schritten dauerhaft ein? Da helfen mir als kleiner Handwerksbetrieb vor Ort die vielen Erkenntnisse aus Großkonzernen kaum weiter. Was sind ggf. geeignete Maßnahmen innerhalb eines BEM? Hier brauchen die BEM-Beauftragten in den KMUs, die oft noch viele andere Aufgaben erledigen, leicht auffindbare und gute Arbeitshilfen mit Beispielen. Und sie brauchen auch Ansprechpartner, wenn sie selbst nicht mehr weiterwissen.
Welche Impulse können der digitale Grundantrag oder der Teilhabeverfahrens- bericht für die Planung von Teilhabe geben?
Der Teilhabeverfahrensbericht ist ein wahrer Datenschatz, wobei Teile des Schatzes noch nicht hinreichend entdeckt und ausgewertet wurden. Als BMAS sind wir dabei, mit verschiedenen Studien in die eine oder andere Ecke der Schatztruhe zu schauen und diese zu beleuchten. So haben wir mit der Expertise „Teilhabe gemeinsam planen“ wertvolle erste Hinweise darauf gefunden, warum die Umsetzung des Teilhabeplanverfah-rens noch hakt. Auch die Evaluation des Persönlichen Budgets, die wir kürzlich beauftragt haben, baut auf Daten aus dem Teilhabeverfahrensbericht auf. Mit der Einführung des Gemeinsamen Grundantrags ist die große Chance verbunden, Bedarfe eines Menschen umfassend zu erfassen und aufzunehmen. Im Rahmen der Teilhabeplanung können sich die Träger dann zu den erfassten Bedarfen und personenzentrierten Leistungen abstimmen. Der Grundantrag schafft dadurch einen echten Mehrwert für die Betroffenen. Und den Reha-Trägern wird die Arbeit deutlich erleichtert, sie wissen direkt, wo die Bedarfe liegen. Letztlich geht es um drei zentrale Versprechen des Bundesteilhabegesetzes:
1. Personenzentriertes Handeln,
2. Leistungen, wie aus einer Hand, um
3. Teilhabe zu ermöglichen.
Gesetze machen, Gesetze umsetzen, welchen Stellenwert hat die BAR in dieser sozialpolitischen Landschaft?
Die BAR hat eine zentrale Rolle in der Umsetzung des trägerübergreifenden Teilhaberechts. Sie ist die institutionelle Klammer im gegliederten System der Rehabilitation und Teilhabe. Ihre Aufgabe liegt darin, Teilhabegesetze trägerübergreifend handhabbar zu machen. Wie können gesetzliche Vorschriften gelebt werden? Welche Probleme müssen abgestimmt werden, damit sie gar nicht erst entstehen? Was für Anwendungshilfen braucht es? Gleichzeitig kommen bei der BAR die Akteurinnen und Akteure mit ihren Umsetzungserfahrungen zusammen. Da können, dürfen und müssen sogar gute Ideen auch für die Weiterentwicklung des Teilhaberechts entstehen.