Blinde und sehbehinderte Menschen in Beschäftigung bringen – das Projekt AKTILA-BS

Trotz ihrer oft überdurchschnittlichen Qualifikation haben es Menschen mit Behinderung schwerer, einen Job zu finden als arbeitslose Menschen ohne Behinderung. Einige ältere Studien legen nahe, dass die berufliche Integration für blinde und sehbehinderte Menschen sogar noch seltener gelingt. Worin liegen die Gründe dafür und wie können sie wirksam angegangen werden? Sind die Förder- und Integrationsangebote nicht  behinderungsspezifisch genug? Haben Arbeitgeber zu große Vorbehalte? Sind langzeitarbeitslose Menschen mit Behinderung weniger motiviert bzw. gibt es andere hinderliche Kontextfaktoren? Diesen Fragen ist das kürzlich abgeschlossene Projekt „Aktivierung und Integration (langzeit-) arbeitsloser blinder und sehbehinderter Menschen“ (AKTILA-BS) nachgegangen.

Das dreijährige Projekt AKTILA-BS widmete sich wissenschaftlichen Fragestellungen und hat zugleich eine Fülle an praktischen Unterstützungsmöglichkeiten für arbeitssuchende blinde und sehbehinderte Menschen entwickelt und erprobt. Die Ergebnisse werden auch nach dem Projektende weiterhin nutzbar sein.

Unterstützungsangebote für die Teilnehmenden im Projekt AKTILA-BS:

  • Potenzialanalyse und individuelle Bildungsplanung
  • Hilfsmittelausstattung zur Ermöglichung der Arbeit zu Hause
  • Modulportfolio/Schulungen
  • Mentoring–Entwicklung eines neuen, zusätzlichen Formats zur Begleitung
  • Jobcoaching/individuelle Begleitung
  • Bewerbungsunterstützung (Schulungen, individuelle Unterstützung)
  • Begleitete Praktika
  • Begleitete Arbeitsaufnahme
  • Nachbetreuung
 

    Finanziert wurde AKTILA-BS aus Mitteln des Ausgleichfonds. Neben dem Berufsförderungswerk Würzburg als Koordinator bestand das Konsortium aus vier weiteren spezialisierten Bildungseinrichtungen bundesweit, dem Deutschen Verein der Blinden und Sehbehinderten in Studium und Beruf (DVBS) e.V. und der InterVal GmbH Berlin, welche die wissenschaftliche Begleitung übernahm. Unterstützung erhielten sie zudem von zahlreichen Reha-Trägern, Jobcentern und Integrationsämtern als Kooperationspartner an den unterschiedlichen Standorten.

    Das Angebot des Mentorings durch blinde und sehbehinderte Berufstätige soll nach Projektende über den DVBS e.V. fortgeführt werden, welcher inzwischen auf einen Pool von 80 geschulten MentorInnen zurückgreifen kann. Zudem soll die gegenseitige Nutzbarkeit von Schulungsmodulen der Bildungseinrichtungen, welche mit unterschiedlichen Schwerpunkten auf diese Zielgruppe spezialisiert sind, für die künftige Zusammenarbeit erhalten bleiben.

    Digitaler Durchblick für die Beratung

    Um auch Leistungsträger, Reha-Beratungsstellen oder Schwerbehindertenvertretungen bei der individuellen, sensiblen und informierten Beratung blinder und sehbehinderter Menschen zu unterstützen, hält AKTILA-BS ein besonderes Projektergebnis bereit: Das „Wiki Durchblick“ stellt alle relevanten Fachinformationen zur beruflichen Teilhabe blinder und sehbehinderter Menschen in kompakt und leicht verständlicher Form zur Verfügung. Es bietet…

    …qualitätsgesicherte Fachinformationen zu allen Fragen rund um Augenerkrankungen, Hilfsmittel, Förderregularien u. ä.

    … alle wichtigen Kontaktadressen und Ansprechpartner

    … effektive Suchfunktionen zum schnellen Auffinden der gewünschten Informationen

    … zahlreiche Beispiele erfolgreicher Integration.

    Das neue Informationssystem steht allen Interessierten unter www.wiki-durchblick.de zur Verfügung.

    Eine der Teilnehmenden, die mit Hilfe von AKTILA-BS nach jahrelanger Arbeitssuche einen Job gefunden hat, ist zum Beispiel die 43-jährige Julia Krekeler. Ihre Geschichte lesen Sie auf der Projekt-Homepage unter https://www.aktila-bs.de/aktuelles.

    Im Rahmen des Projektbeirats hat auch das Team „Systembeobachtung und Forschung“ der BAR-Geschäftsstelle das Projekt begleitet.

    Projektergebnisse aus wissenschaftlicher Sicht

    Die beiden übergeordneten Projektziele in AKTILA-BS waren einerseits die Aktivierung und andererseits die Integration von blinden und sehbehinderten Menschen mit Blick auf den allgemeinen Arbeitsmarkt. Von den insgesamt 58 Teilnehmenden hatten kurz vor Projektabschluss 12 Personen (21 %) eine sozialversicherungspflichtige Beschäftigung gefunden und gehalten, weitere 5 hatten sie allerdings auch wieder verloren. Zum Vergleich: Die Bundesagentur für Arbeit verzeichnete 2017 für den Rechtskreis des SGB II, dass 17 % der langzeitarbeitslosen und 12,0 % der schwerbehinderten Menschen eine abhängige Beschäftigung oder selbständige Tätigkeit aufnahmen. Beim Projektziel „Integration“ sind also Erfolge zu verzeichnen, wenngleich die vorgesehene Marke von 50 erfolgreich in den Arbeitsmarkt integrierten Personen nicht erreicht wurde. Vordergründig liegt dies an der schwierigen Rekrutierung der Teilnehmenden, die bereits auf eine große Arbeitsmarktferne der Zielgruppe hindeutet.

    Dem eigentlichen Integrationsprojekt war eine Vorstudie vorgeschaltet. Hier wurden 194 arbeitslose blinde und sehbehinderte Menschen interviewt, um Vermittlungshemmnisse zu identifizieren und spezifische Unterstützungsangebote entwickeln zu können. Ihnen wurde im Weiteren auch die Teilnahme am AKTILA-BS Integrationsprojekt angeboten, jedoch erwies sich die Gewinnung als unerwartet schwierig. So startete eine erste Gruppe von 25 Teilnehmenden im Frühjahr 2018, weitere 38 konnten erst durch intensive Nachakquise im weiteren Verlauf des Projektes aufgenommen werden. Nicht am Projekt teilnehmende Interviewte wurden jedoch teilweise nach 2 Jahren noch als Vergleichsgruppe hinsichtlich ihrer Arbeitsmarktsituation befragt.

    Erfolge zeigten sich aber auch beim Projektziel „Aktivierung“ der Teilnehmenden, d.h. hinsichtlich ihrer Einstellung, Motivation und Befähigung zur effektiven Arbeitssuche. So wurden unter den Schulungsmodulen, die standortübergreifend ausgewählt werden konnten, schwerpunktmäßig Grundlagenmodule und Soft-Skill-Trainings angenommen. Besonders intensiv genutzt wurde die Nachbetreuung mit weiterer Unterstützung der Arbeitssuche und zur Stabilisierung von Beschäftigungsverhältnissen oder Praktika. Die Begleitung bei der Aufnahme eines Arbeitsverhältnisses war oft wesentlich für die gelingende Integration, wohingegen begleitete Praktika seltener als erwartet zustande kamen. Das Jobcoaching erwies sich insbesondere als zentral für die Unterstützung arbeitsmarktferner Teilnehmender.

    Im Gesamtergebnis zeigt das Projekt, dass die Art der Behinderung nicht immer das entscheidende Merkmal der Teilnehmenden ist. Vielmehr ähneln ihre Probleme denjenigen von langzeitarbeitslosen Menschen im Allgemeinen. Eine enge persönliche Begleitung und Betreuung (z.B. Jobcoaching) stellt dabei einen wesentlichen Erfolgsfaktor für die Aktivierung und Integration ins Arbeitsleben dar.

    Der abschließende Projektbericht wird in Kürze unter www.aktila-bs.de verfügbar sein.

    Literatur:

    Bach H-W (2018) Die Situation blinder und sehbehinderter Menschen am Arbeitsmarkt. In: Wansing G, Welti F, Schäfers M (Hrsg) Beschäftigung und in Fort- und Weiterbildung – auch in internationaler Perspektive. In: Das Recht auf Arbeit für Menschen mit Behinderungen. Baden-Baden: Nomos, S.247-273