
Wartezeitkündigung schwerbehinderter Beschäftigter – Präventionsverfahren nach § 167 SGB IX

Orientierungssätze*
- § 167 Abs. 1 SGB IX gilt nicht außerhalb des Geltungsbereichs des KSchG, so nicht für Wartezeitkündigungen (§ 1 Abs. 1 KSchG) eines schwerbehinderten Arbeitnehmers.
- Das Präventionsverfahren nach § 167 Abs 1 SGB IX selbst ist keine angemessene Vorkehrung (i.S.v. Art. 5 RL 2000/78/EG sowie Art. 27 Abs. 1 S. 2 lit. i) i.V.m. Art 2 UN-BRK. Es stellt vielmehr einen Suchprozess dar, mit dem angemessene Vorkehrungen ermittelt werden können.
- Allein das Unterlassen einer angemessenen Vorkehrung i.S.d. vorstehend genannten Vorschriften ist keine Benachteiligung gemäß § 7 Abs. 1, § 3 und § 1 AGG.
BAG, Urteil v. 03.04.2025 – 2 AZR 178/24
Sachverhalt und Entscheidungsgründe

Der schwerbehinderte Kläger war bei der Beklagten ab 01.01.2023 als Leiter für die Haus- und Betriebstechnik beschäftigt mit einer Probezeit von sechs Monaten. Einen Betriebsrat oder eine Schwerbehindertenvertretung gibt es bei der Beklagten nicht. Die Beklagte kündigte das Arbeitsverhältnis fristgerecht am 31.03.2023. Ein Präventionsverfahren nach § 167 Abs. 1 SGB IX fand nicht statt. Der Kläger macht geltend, die Kündigung sei wegen § 7 Abs. 1, §§ 1, 3 AGG i.V.m. § 134 BGB nichtig und i.Ü. nach § 242 BGB unwirksam. Mit Unterlassung des Präventionsverfahrens habe die Beklagte den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz verletzt und gegen die Pflicht zum Angebot eines behinderungsgerechten Arbeitsplatzes verstoßen. Die Klage wurde auch vom Bundesarbeitsgericht (BAG) abgewiesen.
Kernaussagen* im Überblick:
Das BAG unterstreicht, dass eine Kündigung, auf die das KSchG keine Anwendung findet, nach § 134 BGB i.V.m. §§ 1, 3 AGG nichtig sein kann, wenn sie einen Arbeitnehmer aus einem der in § 1 AGG genannten Gründe diskriminiert. Ein Verstoß gegen § 167 Abs. 1 SGB IX kommt hier nicht in Betracht, denn § 167 Abs. 1 SGB IX gilt nur im zeitlichen und sachlichen Anwendungsbereich des KSchG, also z.B. nicht für Kündigungen während der Wartezeit des § 1 Abs. 1 KSchG. Begründet wird dies – anknüpfend an die Rspr. zur Vorgängervorschrift des § 84 Abs. 1 SGB IX – zunächst mit der Verwendung der spezifischen Terminologie des KSchG im Wortlaut des § 167 Abs. 1 SGB IX (insoweit auch Bezug auf EuGH v. 22.05.2022 – C-426/20). Bei systematischer Betrachtung ist § 167 Abs. 1 SGB IX zudem eine Konkretisierung des Verhältnismäßigkeitsgrundsatzes, der außerhalb des KSchG keine Anwendung findet. Rechtshistorisch habe der Gesetzgeber des BTHG § 167 Abs. 1 SGB IX bewusst nicht geändert und mithin diese Auslegung übernommen. Auch eine unionsrechtskonforme andere Auslegung des KSchG sei nicht geboten. Denn das Präventionsverfahren sei jedenfalls keine angemessene Vorkehrung i.S.v. Art. 5 RL 2000/78/EG sowie Art. 27 Abs. 1 Satz 2 lit. i) i.V.m. Art. 2 UN-BRK. Es stelle lediglich einen Suchprozess zur Ermittlung angemessener Vorkehrungen dar. Darüber hinaus führt das BAG detailliert aus, dass allein das Unterlassen angemessener Vorkehrungen keine Benachteiligung gemäß § 7 Abs 1, § 3 und § 1 AGG sei. Mögliche Folgen des Nichtergreifens an gemessener Vorkehrungen behandelt dasGericht mit Blick auf eine etwaige Treuwidrigkeit einer Kündigung i.S.v. § 242 BGB. Auch geht das BAG näher auf die Rechte aus § 164 Abs. 4 SGB IX ein, ein Verstoß gegen diese Rechte lag im konkreten Fall allerdings nicht vor.
Mit vorliegender Entscheidung bekräftigt das BAG einerseits seine bisherige Rspr. zum Geltungsbereich des § 167 Abs. 1 SGB IX. Zur Frage, ob allein das Unterlassen einer angemessenen Vorkehrung i.S.v. Art. 5 der RL 2000/78/EGsowie Art. 27 Abs. 1 Satz 2 lit. i) i.V.m. Art. 2 UN-BRK eine Benachteiligung gemäß § 7 Abs. 1 AGG, § 3 AGG und § 1 AGG darstellt, rückt der 2. Senat allerdings von bisheriger Rspr. (BAG-Urt. v. 21.04.2016 – 8 AZR 402/14) ab. Der Ansatz, etwaige Rechtsfolgen des Unterlassens angemessener Vorkehrungen außerhalb des Geltungsbereichs des KSchG ggf. aus § 242 BGB abzuleiten, verschiebt nun jedenfalls die Darlegungs- und Beweislast zuungunsten des Arbeitnehmers.
* Aus Leitsätzen bzw. Orientierungssätzen nach JURIS sowie Entscheidungsgründen,
redaktionell abgewandelt und gekürzt