Eigene Krisenerfahrung als Stärke nutzen
Wie Menschen mit psychischer Beeinträchtigung andere auf ihrem Weg in Arbeit unterstützen
Auch mit psychischer Beeinträchtigung sollte die Teilhabe am allgemeinen Arbeitsmarkt möglich sein. Doch viele Menschen erleben, dass sie nach längeren Krankheitsphasen oder biografischen Bruchstellen nicht ohne Weiteres wieder in Arbeit finden. Der Zugang zum Arbeitsmarkt ist oft mit Unsicherheiten, Selbstzweifeln und strukturellen Hürden verbunden.
Um diese Herausforderungen zu bewältigen, gibt es in Bremen seit 2020 die Beratungsstelle „Arbeit im Fokus“. Hier begleitet ein interdisziplinäres Team Menschen mit psychischer Beeinträchtigung bei der beruflichen (Neu-)Orientierung. Das Besondere: Neben professionellen Coaches arbeiten auch sogenannte Peers im Team – also Menschen mit eigener psychischer Krisenerfahrung, die die EX-INQualifizierung absolviert haben.
Beratung auf Augenhöhe
Die Kombination aus fachlicher und erfahrungsbasierter Unterstützung macht das Konzept von „Arbeit im Fokus“ besonders wirkungsvoll. Während die Coaches fundiertes Wissen zu Orientierung, Bewerbung und Arbeitsmarkt einbringen, eröffnen die EX-IN Genesungsbegleitenden (Peers) einen Zugang über die geteilte Erfahrung: Sie wissen, was es heißt, psychisch zu erkranken und kennen die Hürden in der Arbeitswelt.
Dabei stehen verschiedene Themen im Mittelpunkt, wie die Klärung beruflicher Perspektiven und Ziele sowie die (Wieder-) Entdeckung von Fähigkeiten und Kompetenzen. Die Menschen werden bei der Suche nach passenden Arbeitsoder Erprobungsplätzen begleitet und bei Arbeitsaufnahme im Umgang mit psychischen Belastungen unterstützt. Neben der Einzelberatung finden Gruppenangebote statt, in denen sich Teilnehmende gegenseitig stärken und Erfahrungen austauschen können. Die Beratung ist kostenfrei. Sie wird vom Land Bremen und dem Europäischen Sozialfond gefördert. Bürgergeldempfangende werden über die Maßnahme „Ganzheitliche Betreuung § 16k“ gefördert.
Ohne die Betriebe geht es nicht
Ein weiterer Schwerpunkt liegt auf der Zusammenarbeit mit Arbeitgebern. Viele Betriebe wollen ihre Mitarbeitenden halten oder Neue einstellen, sind aber unsicher im Umgang mit der Beeinträchtigung oder haben Vorbehalte. Daher werden auch Seminare zur Sensibilisierung und Aufklärung angeboten, in denen Betriebe konkrete Unterstützung erhalten – z. B. zum Thema Kommunikation und Barrieren.
Interview
Zu diesem Thema: Monika Möhlenkamp im Interview mit Ute de Vries, EX-IN-Genesungsbegleiterin bei „Arbeit im Fokus“, die selbst psychische Krisen erlebt hat und ihre Erfahrung heute aktiv in ihre Arbeit als Peer-Beraterin einbringt.
Ute, wie sieht Deine Arbeit bei „Arbeit im Fokus“ aus?

Mein Schwerpunkt liegt in der Einzelberatung von Menschen mit psychischen Erkrankungen, die wieder ins Berufsleben einsteigen möchten – sei es in eine feste Stelle, ein Praktikum oder eine sinnstiftende Tätigkeit. Neben der Einzelberatung begleite ich auch Gruppen, in denen wir Themen wie Motivation, Belastbarkeit oder Kommunikation am Arbeitsplatz bearbeiten – also alles, was auch im Alltag und Arbeitsleben wichtig ist. Ich bin auch in die Öffentlichkeitsarbeit mit einbezogen, moderiere Workshops. Unsere Arbeit basiert auf Augenhöhe – im Team und mit den Ratsuchenden.
Was genau können die Menschen von Dir erwarten?

Sie finden bei mir einen wertfreien Raum und können offen über ihre psychischen Belastungen und beruflichen Herausforderungen sprechen. Ich begegne jedem mit Verständnis, Empathie und lösungsorientiert. Egal ob der nächste Schritt ein Job, eine kleine Tätigkeit oder eine neue Tagesstruktur ist – wir schauen gemeinsam, was möglich ist. Auch mit einer psychischen Erkrankung ist ein zufriedenes und erfülltes Leben möglich. Die Ratsuchenden können sich bei mir darauf verlassen, dass ihre Anliegen ernst genommen werden – mit offenem Ohr und realistischem Blick auf Perspektiven.
Wie funktioniert die Zusammenarbeit mit den Coaches?
Wir kommen aus verschiedenen Fachbereichen und ergänzen uns sehr gut. Diese unterschiedlichen Perspektiven ermöglichen eine ganzheitliche Begleitung. Hierbei gibt es gegenseitige Verständnisfragen, aber genau dann lernen wir voneinander. Unsere Erfahrungen – die eigene Betroffenheit – bringen wertvolle Einblicke. So verstehen wir besser, was sich hinter einer Suizidgefährdung verbirgt oder wie begrenzt das Energielevel bei psychischen Erkrankungen sein kann. Ein Acht-Stunden-Tag ist für viele nicht machbar, und das darf auch Raum haben. Diese Sensibilität macht unsere Beratung besonders.
Welche Herausforderungen begegnen Dir in der Beratung?
Wir arbeiten mit Menschen, die oft schwere Lebensgeschichten und traumatische Erfahrungen mitbringen. Das kann emotional sehr belastend sein. Die größte Herausforderung für mich ist, empathisch zu begleiten, ohne mich selbst zu verlieren.
Dabei hilft mir unsere enge Teamarbeit sehr. Wir sprechen offen miteinander, unterstützen uns gegenseitig und nehmen Supervision in Anspruch. Es tut gut zu wissen, dass niemand allein mit schwierigen Themen bleibt.
Welche Rolle übernimmst Du in Seminaren für Betriebe?
Ich berichte von meiner eigenen Erfahrung. Viele sind überrascht, wenn ich erzähle, dass ich selbst eine schwere psychische Erkrankung hatte – und heute eine Berufstätigkeit am ersten Arbeitsmarkt ausübe. Diese Authentizität trägt wesentlich zur Antistigmatisierung bei.

FOKUS, Zentrum für Bildung und Teilhabe der Initiative zur sozialen Rehabilitation e. V.: https://fokus-fortbildung.de |