Individualisierte Lösungen im Betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM)

Die Autoren Carsten Detka, Susanne Kuczyk, Bianca Lange und Heike Ohlbrecht sind SoziologInnen
an der Otto-von-Guericke-Universität Magdeburg und führen gemeinsam das von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Projekt: „Präventive Gesundheitsstrategien – aus BEM lernen“ durch.

Für Petra R.1 (1 angelehnt an einen realen Fall) stehen Arbeit und Gesundheit schon sehr lange in einem engen und wechselseitigen Zusammenhang. Sie leidet unter psychischen Beeinträchtigungen, die bereits wochen- und monatelange Phasen der Arbeitsunfähigkeit und stationäre Behandlungen ausgelöst haben. Auf der einen Seite liebt sie ihren Beruf als Tischlerin in einem kleinen Handwerksunternehmen mit 7 Mitarbeitenden. Sie ist seit mehreren Jahren dort beschäftigt und wird vom Unternehmensleiter für ihre große Motivation und ihre Anpassungsfähigkeit geschätzt. Auf der anderen Seite bleiben Belastungen im Privatleben im Zusammenspiel mit Arbeitsbelastungen nicht ohne Einfluss auf die Entwicklung gesundheitlicher Krisenphasen. Petra R. hätte das spätestens nach der letzten und besonders schlimmen Krankheitsphase mit einem monatelangen Klinikaufenthalt mit der grundsätzlichen Frage konfrontieren können, ob sie überhaupt in der Lage ist, dauerhaft ihren Beruf ausführen zu können. Ihr Arbeitgeber aber zeigte in dieser Situation eine besondere Umsicht angesichts der Gesundheitsproblematik seiner Mitarbeiterin und setzte mit ihr zusammen eine individuell angepasste Form der schrittweisen Rückkehr an den Arbeitsplatz um – in einer späteren Phase auch unterstützt durch einen externen Berater zum Betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM). Schon während ihres Klinikaufenthalts beginnt der Chef, ohne Druck zu signalisieren, dass er sehr an ihrer Rückkehr an den Arbeitsplatz interessiert ist. Und als es ihr auch körperlich besser geht, planen beide zusammen eine betriebliche Wiedereingliederung entlang des Hamburger Modells. Dabei gehen sie individuell angepasst und vor allem flexibel vor, da ein zu schneller Wiedereinstieg – in ihrem Fall eine zu lange tägliche Arbeitszeit und zu viele selbständig zu erfüllende Arbeitsaufgaben – unmittelbar wieder in eine Überforderungssituation und damit eine gesundheitliche Krise führen könnten. Petra R. hat gelernt, situative Überlastungssymptome sensibel wahrzunehmen. Der Vorgesetzte ist bereit, sich darauf einzustellen: Während der ersten Zeit der Rückkehr in den Beruf arbeitet ihm Petra R. in der Regel direkt zu. Erst nachdem sie größeres Vertrauen in ihre Belastbarkeit gefasst hat, übernimmt sie auch wieder selbständig eigene Arbeitsaufgaben. Diese Arbeitsaufgaben werden nach und nach komplexer. Sie hat zudem gelernt anzukündigen, wann sie zwar zur Arbeit kommen, aber nur „stumpfe“ Tätigkeiten übernehmen kann. Nicht nur ihr Chef, auch die Kollegen akzeptieren das. Und sie kann ohne großen Rechtfertigungsdruck während der Arbeitszeit nach Hause gehen und den Arbeitstag beenden, wenn sie merkt, dass es ihr nicht gut geht – damit kann sie Arbeit und Gesundheit besser aufeinander abstimmen und fällt für den Betrieb nicht unmittelbar durch arbeitsbedingte Überlastungen längerfristig aus. Das Betriebliche Eingliederungsmanagement (BEM) ist seit seiner gesetzlichen Einführung 2004 ein Instrument zur beruflichen Wiedereingliederung erkrankter Beschäftigter, die im Zeitraum eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig waren (§ 84 SGB IX / ab 1.1.2018 § 167 SGB IX). Allerdings gibt es durchaus noch Probleme der konkreten Umsetzung des BEM insbesondere in kleinen und mittleren Unternehmen (KMU). Der Wissensstand zum BEM ist in KMU immer noch nicht vergleichbar mit dem in großen Unternehmen. Trotzdem lässt sich vielfach ein (mehr oder weniger) strategisches bzw. geordnetes Vorgehen im Umgang mit kranken und von Krankheit bedrohten Mitarbeitenden in KMU beobachten, das jedoch mitunter nicht unter dem Titel „BEM“ etabliert ist. Dabei gibt es durchaus produktive Prozesse und kreative Lösungen. Natürlich liegt im Fallbeispiel von Petra S. eine sehr spezielle Form der Wiedereingliederung vor, die nicht verallgemeinert werden kann – es kann nicht erwartet werden, dass alle KMU über die Ressourcen für eine  vergleichbare Lösung verfügen. Was veranschaulicht dieses Fallbeispiel aber trotzdem mit Blick auf den Umgang mit langfristig erkrankten Mitarbeitenden in KMU? Es verdeutlicht aus unserer Sicht, dass informelle und individualisierte Lösungen bei der Wiedereingliederung durchaus erfolgversprechend sein können.
Die Daten, die wir im von der Hans-Böckler-Stiftung geförderten Forschungsprojekt „Präventive Gesundheitsstrategien – Aus BEM lernen“ im Rahmen von qualitativempirischen Interviews mit Arbeitnehmenden, die ein BEM durchlaufen (haben), und mit ExpertInnen und UnternehmerInnen erhoben haben, legen nahe, dass zu strenge Verfahrensvorschriften eine produktive Ausgestaltung des Prozesses in KMU eher behindern als erleichtern – gerade bei psychischen Erkrankungen und Erkrankungen mit schwer prognostizierbarem Verlauf. Der BEM-Erfolg kann darüber hinaus vor allem dadurch begünstigt werden, wenn von den BEM-Berechtigten eigene Initiativen ausgehen, z.B. in der Umgestaltung des Arbeitsplatzes oder in der Anpassung der Arbeitszeiten. Das kann durchaus noch aktiver erfolgen als im Fallbeispiel.