Fünf Fragen an Susanne Weinbrenner

Frau Dr. med. Susanne Weinbrenner, MPH ist seit Juli 2012 Leitende Ärztin und Leiterin des
Geschäftsbereiches Sozialmedizin und Rehabilitation der Deutschen Rentenversicherung Bund.

Präventionsgesetz, Flexirentengesetz und das Bundesteilhabegesetz haben große Auswirkungen auf die Themen „Prävention, Rehabilitation und Gesundheitsförderung“. Welche neuen Möglichkeiten ergeben sich für die DRV aus dem Gebiet der Prävention und wie will sie sie nutzen?

Das Präventionsgesetz verweist bezüglich der Aufgaben der Rentenversicherung auf das SGB VI, also das Leistungsgesetz der Rentenversicherung. Hier ist die Neuregelung des § 14 SGB VI entscheidend:
Versicherte haben, bei Vorliegen der versicherungsrechtlichen und persönlichen Voraussetzungen, nunmehr einen Rechtsanspruch auf Prävention. Dies wird von uns als gesetzgeberische Ermutigung verstanden, die qualitativ hochwertigen Präventionsleistungen der Rentenversicherung weiter auszubauen. Derzeit ist die Rentenversicherung aktiv dabei, in den Regionen neue Strukturen aufzubauen, damit künftig möglichst viele Versicherte unsere Präventionsleistungen wohnortnah in Anspruch nehmen können. Um dem Grundsatz „Prävention vor Reha vor Rente“ gerecht werden zu können, ist der frühzeitige Zugang zu Leistungen besonders wichtig. Mit der vom Gesetzgeber in § 14 Abs. 3 SGB VI beschriebenen Aufgabe, in Modellprojekten eine freiwillige, berufsbezogene Gesundheitsvorsorge für Versicherte ab 45 Jahren zu erproben, haben wir jetzt die Möglichkeit, ganz neue Wege für einen frühzeitigen Zugang zu unseren Leistungen zu entwickeln. Selbstverständlich müssen diese Modellprojekte fachgerecht evaluiert werden.

Das Flexirentengesetz bietet auch weitere Chancen zur Ausrichtung von Rehabilitation, insbesondere für Kinder und junge Erwachsene. Was sind die wichtigsten Neuerungen im Bereich der Kinder- und Jugendreha?

Die Kinder- und Jugendlichenrehabilitation der Rentenversicherung war bis zum Inkrafttreten des Flexirentengesetzes auf die Leistungserbringung in stationärer Form begrenzt. Ambulante Leistungen oder auch Nachsorgeleistungen mit dem Ziel, den durch die vorangegangene Rehabilitationsleistung eingetretenen Erfolg weiter zu verbessern oder nachhaltig zu sichern, konnten nicht erbracht werden. Zu den wichtigsten Neuerungen gehört daher, dass den Trägern der Deutschen Rentenversicherung durch das Flexirentengesetz erstmalig die Möglichkeit eröffnet wird, Leistungen zur Kinderrehabilitation nunmehr auch in ambulanter Form zu erbringen sowie im Anschluss an eine Kinder- und Jugendlichenrehabilitation Leistungen zur Nachsorge anzubieten. Der Vorteil einer ambulanten Rehabilitation ist, dass sie in Wohnortnähe stattfindet. Die Kinder und Jugendlichen können so in ihrem Umfeld verbleiben. Dieser „Heimvorteil“ kann wiederum therapeutisch genutzt werden. Darüber hinaus kann eine langfristig angelegte ambulante Weiterbetreuung durch Leistungen zur Nachsorge den  Rehabilitationserfolg des Kindes bzw. des Jugendlichen nachhaltig sichern.

Besonders hervorzuheben ist „Familienorientierte (Kinder-)Rehabilitation“?
Was ist darunter zu verstehen?

Grundsätzlich sind Leistungen der „Familienorientierten Rehabilitation“ eine Form der Kinderrehabilitation, d.h. im Mittelpunkt dieser Leistung steht die erfolgreiche Rehabilitation des erkrankten Kindes. Unter „Familienorientierter Rehabilitation“ ist eine Leistung zur medizinischen Rehabilitation für ein schwerst chronisch krankes Kind zu verstehen, bei der das Kind von seinen Familienangehörigen, in der Regel die Eltern und gegebenenfalls den Geschwistern, begleitet wird. In diesem Sinne definiert die im Jahr 2009 zwischen gesetzlicher Renten- und Krankenversicherung getroffenen Verfahrensabsprache zu Anträgen der „Familienorientierten Rehabilitation“ diese Leistungsform. Die Einbeziehung der Eltern und gegebenenfalls der Geschwister in den Rehabilitationsprozess ist deshalb erforderlich, weil die Erkrankung des Kindes die Alltagsaktivitäten der Familie erheblich beeinträchtigt. Maßgebend ist außerdem, dass die Mitaufnahme eine notwendige Voraussetzung für den Rehabilitationserfolg des erkrankten Kindes ist.
In diesem Zusammenhang möchte ich darauf hinweisen, dass durch das Flexirentengesetz die Mitaufnahme von Familienangehörigen gesetzlich geregelt wurde. Kinder haben nunmehr – unabhängig von der Schwere der Erkrankung – Anspruch auf Mitaufnahme von Familienangehörigen, wenn deren Einbeziehung in den Rehabilitationsprozess notwendig ist. Dabei ist allein auf den angestrebten Rehabilitationserfolg des Kindes abzustellen.

Mit dem Bundesteilhabegesetz soll u. a. die Zusammenarbeit der Rehabilitationsträger noch einmal konkreter gefasst werden. Welche Konsequenzen und Möglichkeiten in Bezug auf passgenaue Leistungen für die Versicherten sehen Sie?

Zuerst sind die neuen Regelungen zur Zusammenarbeit eine Herausforderung für die Rehabilitationsträger, denn viele Schritte des Reha-Prozesses sind neu zu gestalten. Die Koordinierungsverantwortung des leistenden Trägers ist eine Chance zur schnellen, trägerübergreifenden Feststellung und Erbringung genau derjenigen Rehabilitationsleistungen, die dem Bedarf des Menschen mit Behinderung in seiner Lebenssituation entsprechen. Über das Gesetz hinaus ist dafür eine enge Abstimmung der Rehabilitationsträger – gerade über gemeinsame Empfehlungen – unbedingte Voraussetzung. Gibt es zuverlässige Kommunikationswege zwischen den Trägern, ist eine schnellere und passgenaue Bedarfsfeststellung möglich. Das gilt z.B. auch für die übergreifende Abstimmung bei der Beauftragung eines sozialmedizinischen Gutachtens. Es besteht aber die Gefahr, dass die im Gesetz genannten praxisfernen Fristen und insbesondere die bei Säumnis vorgesehene Bedarfsfeststellung und Leistungserbringung allein durch den leistenden Träger eine passgenaue Leistung eher gefährden. Die Stärke des gegliederten Systems der Sozialversicherung, die Passgenauigkeit der Leistungen entsprechend dem jeweiligen Risiko, wird dadurch aufs Spiel gesetzt.

Die DRV Bund ist Arbeitgeber von über 17 000 Beschäftigten. Was tun Sie auf der betrieblichen Ebene für die Gesundheit Ihrer Beschäftigten?

Neben vielen laufenden Maßnahmen will ich ein aktuelles Projekt besonders hervorheben. Wir starten im Frühjahr 2018 ein Pilotprojekt „Präventionsleistungen für Beschäftigte der DRV Bund“ in Anlehnung an die Leistungen der gesetzlichen Rentenversicherung nach § 14 Abs. 1 SGB VI. Ziel dieses neuen Programmes, das in Zusammenarbeit mit der Rehabilitationsabteilung der DRV Bund entwickelt wurde, ist die Förderung von Motivation und Aktivität bezüglich eines eigenverantwortlich gesundheitsbewussten Verhaltens. Darüber hinaus soll die Fähigkeit der Beschäftigten gestärkt werden, mit Stress und Konflikten am Arbeitsplatz besser umzugehen und so die eigene Arbeitsfähigkeit zu stärken. Die inhaltliche Ausgestaltung mit den Themen „Bewegung“, „Ernährung“ und „Stressbewältigung“ erfolgt in Anlehnung an den Leitfaden und die Praxisempfehlungen zur Durchführung von Präventionsleistungen der Deutschen Rentenversicherung. Nach einer  Wirksamkeitsüberprüfung des Programmes soll das Präventionsangebot perspektivisch all unseren Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern offenstehen.