Anspruch auf einen höhenverstellbaren Schreibtisch als Leistung zur Teilhabe am Arbeitsleben

"Eine täglich im Sitzen ausgeführte Arbeitstätigkeit kann die Erwerbsfähigkeit hinreichend schwer gefährden."

Orientierungssätze*
1. Ein höhenverstellbarer Schreibtisch kann als Hilfsmittel zur Berufsausübung der Rentenversicherung im Rahmen der Teilhabe am  Arbeitsleben in Betracht kommen.
2. Ein generell vorrangiger Anspruch des Arbeitnehmers auf eine solche Ausstattung des Arbeitsplatzes gegen über dem Arbeitgeber besteht nicht.
LSG Baden-Württemberg, Urteil v. 09.09.2020, Az.: L 2 R 2454/19
* Leitsätze oder Entscheidungsgründe des Gerichts bzw. Orientierungssätze nach JURIS, redaktionell abgewandelt und gekürzt

Sachverhalt und Entscheidungsgründe

Der 1971 geborene Kläger ist als Fertigungsleiter beschäftigt und erlitt 2017 einen Bandscheibenvorfall. In der Folge beantragte er nach ca. zwei Monaten Arbeitsunfähigkeit 2018 bei der beklagten Rentenversicherung u. a. einen höhenverstellbaren Schreibtisch. Die Beklagte lehnte die Leistung mit der Begründung ab, dass die Erwerbsfähigkeit des Klägers nicht erheblich gefährdet sei. Zudem müsse vorrangig der Arbeitgeber die Ausstattung des Arbeitsplatzes mit einem entsprechenden Schreibtisch sicherstellen. Auf hiergegen gerichtete Klage folgte das SG dieser Rechtsauffassung, während das LSG im rechtskräftigen Berufungsurteil anders entschied: Für das Vorliegen einer erheblich gefährdeten oder geminderten Erwerbsfähigkeit i. S. d. § 10 Abs. 1 SGB VI sei jeweils auf die Fähigkeit zur Ausübung des bisherigen Berufs oder der bisherigen Tätigkeit abzustellen. Das LSG kommt insoweit zu dem Ergebnis, dass die Erwerbsfähigkeit des Klägers zwar nicht gemindert sei, durch die täglich sitzende Arbeitstätigkeit aber eine hinreichend schwere Gefährdung vorliege. Die Minderung der Erwerbsfähigkeit könne auch durch die begehrte Leistung abgewendet werden (§ 10 Abs. 1 Nr. 2 lit.a  SGB VI).

Der Schreibtisch ist dem LSG zufolge kein Hilfsmittel im Rahmen der medizinischen Rehabilitation (vgl. § 15 SGB VI i. V. m. § 42 Abs. 2 Nr. 6, § 47 SGB IX), weil es sich um einen Gebrauchsgegenstand des täglichen Lebens handele. Die Leistung wird vielmehr als Hilfsmittel zur Berufsausübung nach §  49 Abs. 8 S. 1 Nr. 4 SGB IX eingeordnet. Das LSG führt hierfür u. a. an, dass das Hilfsmittel dem Kläger zum mittelbaren Ausgleich einer Behinderung im Hinblick auf seine bestimmte Berufsausübung als Fertigungsleiter diene.

Schließlich verneint das LSG eine vorrangige Verpflichtung des Arbeitgebers (§ 49 Abs. 8 S. 1 Nr. 4 lit. b SGB IX) zur Ausstattung des Arbeitsplatzes mit dem Schreibtisch. Es sei zwar grundsätzlich nicht die Aufgabe der Rentenversicherungsträger, eine mangelnde ergonomische Grundausstattung des Arbeitsplatzes durch den Arbeitgeber auszugleichen. Aus den staatlichen Arbeitsschutzvorschriften und Unfallverhütungsvorschriften ergäben sich Handlungsanleitungen für die Gestaltung von Arbeitsplätzen. Hieraus folge insgesamt jedoch keine allgemeine Verpflichtung von Arbeitgebern zur Ausstattung mit höhenverstellbaren Schreibtischen und auch kein dahingehender vorrangiger Anspruch gegenüber dem Arbeitgeber.

Das LSG schließt sich damit im Ergebnis der Rechtsauffassung des LSG Rheinland-Pfalz in einer Entscheidung vom 2.3.2016 (Az.: L 6 R 504/14) zur leistungsrechtlichen Einordnung eines höhenverstellbaren Schreibtischs an. Deutlich wird dabei erneut die anspruchsvolle Abgrenzung von Leistungen zur Arbeitsplatzausgestaltung an der Schnittstelle zwischen Hilfsmitteln zur medizinischen Rehabilitation, Hilfsmitteln zur Teilhabe am Arbeitsleben, technischen Arbeitshilfen, begleitenden Hilfen und Arbeitgeberpflichten. Vor diesem Hintergrund ist auf Ebene der BAR auch eine trägerübergreifende Verwaltungsvereinbarung zur Abgrenzung der Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben zu der begleitenden Hilfe geschlossen worden, die auch die Schnittstelle zu allgemeinen Arbeitgeberpflichten aufgreift (www.bar-frankfurt.de>Service>Publikationen>Reha-Vereinbarungen).