Lebenslagen

Lebenslagen, Lebensbereiche, Lebenswelten: In Wissenschaft und Politik werden zahlreiche Begriffe verwendet und beschrieben, die sich auf die individuelle Lebenssituation beziehen, in der sich eine Person befindet. Bezogen auf Menschen mit Behinderung, betrachtet man dann eine Teilhabesituation aus der Perspektive einer bestimmten Lebenslage. Dazu gehört zum Beispiel die Berücksichtigung der familiären Situation, schulpflichtige Kinder zu Hause versorgen zu müssen oder die höhere Mobilitätsanforderung, in einer ländlichen Region ärztliche und therapeutische Unterstützungsangebote in Anspruch nehmen zu können.
Außer Frage steht, dass Lebenslagenansätze wichtigen Forderungen nachkommen, wie der Personenzentrierung oder der biopsycho-sozialen Betrachtung von Gesundheit.
Gleichzeitig stellt sich die Frage, wie sich Lebenslagen definieren lassen. Dazu beschreibt der  Teilhabebericht der Bundesregierung die Lebenslage als „Einbindung einer Person in ihre soziale, ökonomische, historische und kulturelle Umgebung“ (BMAS 2016). Je nach äußeren Bedingungen sowie persönlichen Fähigkeiten und Einschränkungen ergibt sich ein Handlungsspielraum, der über den Grad der Teilhabe entscheidet. Diese – als Lebenslage bezeichnete – Einbindung von Individuen lässt sich auf verschiedene Lebensbereiche beziehen, darunter u. a. die Bereiche Bildung, Arbeit, Gesundheit und Wohnen.
Vorteil und Anspruch zugleich liegen in der Fokussierung auf den Menschen in seiner persönlichen  Lebenslage und nicht eingeordnet in Gesetzessysteme, Sozialleistungen und Maßnahmen. Denn Leistungsgruppen bilden selten die Lebenswirklichkeit ab. Konkret heißt das beispielsweise,  personbezogene und umweltbezogene Kontextfaktoren in der Reha-Begutachtung zu berücksichtigen oder die Reha-Ziele an die individuelle Lebenslage auszurichten. Das ist nicht neu und doch eine Forderung, die sich in der Praxis als anspruchsvolle Maxime darstellt, wie zum Beispiel der im Dezember 2016 erschienene Teilhabebericht der Bundesregierung aufzeigt.

Im Teilhabebericht der Bundesregierung

In knapp 600 Seiten befasst sich der wissenschaftlich fundierte Bericht mit den Lebenslagen von Menschen mit Beeinträchtigungen in Deutschland. Wie steht es um ihre Teilhabechancen in den einzelnen Lebensbereichen und wo gilt es noch Barrierenabzubauen? Diese Fragen beantwortet der Bericht nicht etwa anhand des Leistungssystems, sondern gegliedert nach Lebensbereichen, darunter u. a. Familie und soziales Netz, Bildung und Ausbildung, Erwerbsarbeit und Einkommen, Alltägliche Lebensführung, Gesundheit, Freizeit, Kultur und Sport. Um die Lebenslage von Menschen mit Behinderung im Bereich „Alltägliche Lebensführung“ zu beurteilen, zieht die Bundesregierung Kriterien heran, wie barrierefreier Wohnraum und die Nutzbarkeit von öffentlichen Plätzen und Einrichtungen.

Im Bundesteilhabegesetz

Nicht weniger aktuell ist die durch das Bundesteilhabegesetz vorgesehene Untergliederung des leistungsberechtigten Personenkreis für die Eingliederungshilfe im SGB IX nach Lebensbereichen (§ 99 bzw. Kapitel 25a). Genannt werden hier Lernen und Wissensanwendung, Allgemeine Aufgaben und Anwendungen, Kommunikation, Mobilität, Selbstversorgung, häusliches Leben, interpersonelle Interaktionen und Beziehungen, bedeutende Lebensbereiche sowie Gemeinschafts-, soziales und staatsbürgerschaftliches Leben. Anzumerken ist, dass diese vorerst bis 2023 lediglich als modellhafte Erprobung angewendet werden.

Weitere Anwendung

Unabhängig von teilweise unterschiedlichen Ansätzen, versuchen der Teilhabebericht und das Bundesteilhabegesetz Rehabilitation und Teilhabe stärker an den Lebenslagen von Menschen mit Behinderung auszurichten. In die gleiche Richtung steuern auch Rehabilitationsträger, indem Homepageinhalte zur Rehabilitation nach Lebenslagen sortiert werden. Neben der Deutschen  Rentenversicherung, die mehrere Sortierungen anbietet, hat die Bundesagentur für Arbeit ihre neue Homepage www.arbeitsagentur.de komplett nach Lebenslagen strukturiert.

Zweiter Teilhabebericht der Bundesregierung über die Lebenslagen von Menschen mit Beeinträchtigungen

Der Anteil der erwerbstätigen Menschen mit Beeinträchtigungen ist von 2005 bis 2013 um acht Prozentpunkte auf 49 % gestiegen. Das geht aus dem Teilhabebericht 2016 der Bundesregierung hervor. Sowohl die Alterung der Gesellschaft als auch steigende Anteile von Menschen mit Beeinträchtigungen in allen Altersgruppen tragen demnach dazu bei, dass die Zahl der Menschen mit Beeinträchtigungen insgesamt zugenommen hat, von rund 11 Mio. im Jahr 2005 auf knapp 12,8 Mio im Jahr 2013. Der Bericht macht auch deutlich, dass die Entwicklung der Teilhabe von Menschen mit Beeinträchtigungen nicht in allen Lebensbereichen einheitlich verläuft. Der Bericht stellt die Lebenslagen von Menschen mit Behinderungen in den Vordergrund und macht deutlich, dass es In wichtigen Lebenslagen weiterhin Nachholbedarf gibt.