Aus der Forschung: Vielfalt der Menschen und Selbstbestimmung

Menschen, die in der Gesellschaft mit Benachteiligungen konfrontiert sind, verdienen in der Rehabilitation besondere Aufmerksamkeit. Dies ist in dem Auftrag begründet, der im § 1 SGB IX allen Ausführungen über die Leistungen der Rehabilitationsträger vorangestellt ist: Die Förderung von Selbstbestimmung und gleichberechtigter Teilhabe. Konzepte und  praxisbezogene Instrumente hierzu kommen auch aus der Forschung.

In ihrem Beitrag „Selbstbestimmung in der medizinischen Rehabilitation“ (Rehabilitation 2019; 58: 15-23) stellen die ForscherInnen Tatajana Senin und Thorsten Meyer ein konzeptuelles Modell vor, mit dem sie Theorieentwicklung zu diesem Thema in den Rehawissenschaften voranbringen möchten. Gerade im Bereich der chronischen Erkrankungen werde die Diskussion um Selbstbestimmungsrechte noch nicht intensiv geführt, obwohl solche Erkrankungen für den betroffenen Menschen oft tiefgreifende Veränderungen der  Lebensführung und zunehmende Abhängigkeiten bedeuten. Dementsprechend habe die Rehabilitation eine besondere Verantwortung bei der Wahrung und Wiederherstellung von Selbstbestimmung; diese sei eine Schlüsselkomponente der patientenorientierten Rehabilitation.
Um nun tatsächlich Selbstbestimmung während eines Reha-Aufenthaltes zu fördern, muss laut Senin und Meyer sowohl die Ebene der RehabilitandInnen (interne Faktoren) als auch die Ebene der Reha-Einrichtung (externe Faktoren) berücksichtigt werden. Als interne Ansatzpunkte enthält das Modell die Motivation, das psychologische Empowerment, die  Selbstregulation, das Beteiligungs- und Kommunikationsverhalten und die Selbsteinschätzung. Externe Ansatzpunkte sind z.B. die strukturellen Bedingungen in der Einrichtung, das Verhalten und die Einstellungen von BehandlerInnen, die Verfügbarkeit von Informationen und das Eröffnen von Wahlmöglichkeiten. Insbesondere die Erarbeitung und Vereinbarung von individuellen Reha-Zielen wird als essentiell für die Förderung von Selbstbestimmung  angesehen. Trotz der inzwischen gesetzlichen Verankerung im § 13 SGB IX sei diese aber in der Praxis noch nicht hinreichend angekommen.

Der Innovationsfonds des Innovationsausschusses beim Bundesausschuss (G-BA) fördert u.a. auch Projekte zur Selbstbestimmung. Diese verteilen sich in den beiden Förderzweigen „Neue Versorgungsformen“ und „Versorgungsforschung“ auf folgende Themen:

  • Stärkung der Gesundheitskompetenz von Patienten unter Einschluss evidenzbasierter Gesundheitsinformationen für chronisch kranke, von Behinderung bedrohte und behinderte Menschen sowie Maßnahmen zur Förderung des Selbstmanagements.
  • Gesundheitsversorgung von Menschen mit Behinderung: insbesondere Analysen zu den Barrieren bei der Gesundheitsversorgung, Maßnahmen zur barrierefreien Teilhabe an Diagnostik und Therapie sowie Tools zur Verbesserung der Situation von Menschen mit Assistenzbedarf in der Gesundheitsversorgung.
  • Telemedizin und E-Health, auch unter Berücksichtigung der digitalen Selbstbestimmung.
  • Selbstbestimmung am Lebensende.

Eine Übersicht aller Förderungen findet sich hier: www.innovationsfonds.g-ba.de.

„Zusammenhalt in Vielfalt“ lautet das Motto, mit welchem die Robert-Bosch-Stiftung ihr in diesem Jahr erschienenes Vielfaltsbarometer überschrieben hat. Erstmalig wird ein sehr breites Spektrum an Merkmalen untersucht, mit denen Vielfalt (engl.: Diversity) in der Gesellschaft beschrieben wird. Lebensalter, Geschlecht und Behinderung gehören hier ebenso dazu wie sexuelle Orientierung, ethnische Herkunft, Religion und sozioökonomische Schwäche. In einer bundesweiten repräsentativen Telefonbefragung wurde die Akzeptanz dieser sieben einzelnen Dimensionen erfragt, miteinander verglichen und mögliche Einflussfaktoren bzw. Gestaltungsansätze für Akzeptanz und Zusammenhalt identifiziert. Auf einer Skala von 0 bis 100 erreicht dabei die Akzeptanz für Behinderung mit 83 Punkten den höchsten Wert, das Schlusslicht bildet die religiöse Vielfalt mit 44 Punkten. „Inklusion eignet sich offenbar nicht als Thema für gesamtgesellschaftliche Spaltungstendenzen“, kommentieren die Herausgeber dieses Ergebnis. Das Vielfaltsbarometer 2019 ist abrufbar unter:
www.bosch-stiftung.de.

Diversity Management
Die Vielfalt der Bedürfnisse muss auch bei der Leistungserbringung zu berücksichtigt werden. Dazu hat ein Forscherteam der Universitäten Bielefeld und Witten-Herdecke im Projekt ReDiMa ein Diversity Management-Konzept in einer exemplarischen Reha-Einrichtung entwickelt (Projektleitung: Oliver Razum, Patrick Brzoska, Förderung: DRV Westfalen, DRV Rheinland). Aktuell wird im Nachfolgeprojekt DiversityKAT ein Handlungsleitfaden und ein Instrumentenkatalog erstellt, die medizinische Reha-Einrichtungen in der Nutzerorientierung der Versorgung unterstützen sollen.
Dieses Projekt läuft noch bis 2020 und wird gefördert durch die DRV Bund: www.deutscherentenversicherung.de  > Experten > Reha-Forschung > Laufende Projekte.

Weitere Informationen rund um die Forschung finden sich auf: www.bar-frankfurt.de