Statements zu innovativen Ansätzen

Wie können in der Reha-Durchführung einzelne Leistungsbereiche, Leistungsträger und weitere Akteure im Reha-Prozess verknüpft werden?
Bei der Durchführung der Leistungen zur Teilhabe wird die Vielfalt der innovativen Ansätze deutlich. Vier Beispiele sollen das exemplarisch aufzeigen: Das Budget für Arbeit in Rheinland-Pfalz, die Arbeitsplatzbezogene  Muskuloskeletale Rehabilitation (ABMR) in der gesetzlichen Unfallversicherung, die Geriatrische Rehabilitation und das Betriebliche Eingliederungsmanagement bei Unternehmen.

Welche Besonderheiten in der Reha-Durchführung ergeben sich?

Budget für Arbeit
Harald Diehl, Referatsleiter Grundsatzfragen der Eingiederungshilfe, der beruflichen Rehabilitation und des Schwerbehindertenrechts, Ministerium für Soziales, Arbeit, Gesundheit und Demografie Rheinland-Pfalz

Das Budget für Arbeit wurde zuerst in Rheinland-Pfalz im Jahr 2006 modellhaft eingeführt und ist dort mittlerweile als Regelleistung etabliert. Das Budget für Arbeit ist eine Geldleistung, mit der Menschen mit Behinderungen, die Anspruch auf Beschäftigung im Arbeitsbereich einer Werkstatt für behinderte Menschen haben, der Übergang auf den allgemeinen Arbeitsmarkt erleichtert werden soll. Statt die Beschäftigung in einer Werkstatt für behinderte Menschen zu finanzieren, zahlen die Träger der Sozialhilfe einen dauerhaften Lohnkostenzuschuss an Arbeitgeber, um damit die Beschäftigung auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt zu fördern. Die Geldleistung wird als „Budget für Arbeit“ statt an den Menschen mit Behinderung direkt an den Arbeitgeber als Ausgleich für die Minderleistung gezahlt.
Die dauerhafte finanzielle Förderung erhöht die Bereitschaft der Arbeitgeber, Menschen mit Behinderungen einzustellen und ihnen gesellschaftliche Teilhabe, Selbstbestimmung und Gleichstellung zu ermöglichen. Das Budget für Arbeit ist aber auch eine Möglichkeit, Finanzströme zu steuern und den Eingliederungstitel zu entlasten, da die Aufwendungen für das Budget für Arbeit in der Regel unter den Kosten, die vergleichsweise in einer Werkstatt entstehen würden, liegen.

ABMR in der DGUV
Ullrich Haak, Geschäftsbereich Rehabilitation und Leistung,
Stv. Geschäftsbereichsleiter, Gemeinde-Unfallversicherungsverband Hannover, Landesunfallkasse Niedersachsen

Die ABMR (Arbeitsplatzbezogene Muskuloskeletale Rehabiliation) ist eine Leistungsform, die sich speziell am beruflichen Tätigkeitsprofil des Rehabilitanden orientiert. Die Einführung der ABMR ist eine konsequente  Ergänzung des Heilverfahrens und insbesondere des Reha-Managements in der gesetzlichen  Unfallversicherung. Nach der Akutversorgung und primären Rehabilitationsphase wird hier das Augenmerk frühestmöglich auf die erforderlichen arbeitsplatzspezifischen Anforderungen des Versicherten gelegt. Die Indikation der ABMR besteht insbesondere für Menschen, die körperlich arbeiten oder körperlich sehr speziellen oder auch monotonen Arbeitsbelastungen ausgesetzt sind.
Das durch die gesetzlichen Unfallversicherungsträger forcierte Kernziel „zurück auf den Arbeitsplatz“ wird durch diese Maßnahme nochmals unterstrichen. Die vorgeschalteten Therapien der EAP (Erweiterte Ambulante Physiotherapie), BGSW (Berufsgenossenschaftliche Stationäre Weiterbehandlung) und KSR (Komplexe Stationäre Rehabilation) sollen eine optimale Ausgangssituation für die eingeleitete ABMR schaffen. Als Besonderheit ist in der Praxis hervorzuheben, dass sich die therapeutischen Maßnahmen nicht nur auf die physische Belastbarkeit begrenzen. Dies ist der gültigen Handlungsanleitung nicht explizit zu entnehmen.

Geriatrische Reha
Dr. Norbert Lübke, Leiter des Kompetenz-Centrum Geriatrie beim Medizinischen Dienst der Krankenversicherung Nord

Wir haben es in der geriatrischen Rehabilitation oft mit schwer und multiple betroffenen Rehabilitanden zu tun.
Obgleich Rehaerfolge auch bei Älteren und Pflegebedürftigen gut belegt sind, besteht selten Aussicht auf vollständige Restitution. Es sind entsprechend mehr Heilmittel-Professionen vorzuhalten und mehr Pflege- und Sozialdiensteinbindung erforderlich. Die grenzkompensierten, oft aber auch erschöpften funktionalen Reserven geriatrischer Rehabilitanden bergen ein relativ hohes Risiko akuter Verschlechterungen vorbestehender  Begleiterkrankungen, aber auch zusätzlicher Funktionsbeeinträchtigungen bei Immobilität. Dies begründet die hohe Bedeutung bereits frührehabilitativ im Krankenhaus einsetzender Maßnahmen. Die Multimorbidität erfordert eine breite Qualifikation sowohl des ärztlichen wie des therapeutischen und pflegerischen Personals. Eine besondere Herausforderung stellt bspw. die erfolgreiche Rehabilitation von Frakturen oder von einem Schlaganfall betroffener, kognitiv beeinträchtigter Menschen dar. Schließlich gewinnen wegen der geringen Aussicht auf vollständige Restitution Maßnahmen zur Kompensation und Adaptation der Umwelt eine stärkere Bedeutung.

BEM bei Unternehmen
Benjamin Boll, Leitung Gesundheit und Personalentwicklung, EDEKA Handelsgesellschaft Hessenring

Schwerpunkt der betrieblichen Betrachtung bzgl. einer Reha-Durchführung liegt am Beginn und am Ende. Zu Beginn ist es oftmals schwer, den zeitlichen Rahmen genannt zu bekommen bzw. abzuschätzen. Oftmals ist man zu Beginn nur mit der Aussage konfrontiert: „Ich habe eine Reha beantragt.“ Weiteres ist den betroffenen Mitarbeitern gar nicht bekannt bzw. es folgt die Aussage: „Die haben mir gesagt, die Entscheidung kann bis zu sechs Wochen dauern, dann kann´s aber schnell gehen.“ Dies ist für den Fachbereich bzgl. Personalplanung sowie Aufgabenverteilung natürlich unbefriedigend.
Beim Ende ist zwar der zeitliche Rahmen der Reha vorhersehbarer, gleichzeitig ergeben sich immer wieder Fragen zur tatsächlichen Einsatzfähigkeit. Wird ein Wiedereingliederungsprozess gestartet, ist dies in der Regel im betrieblichen Kontext händelbar. Schwierig ist nur die Pauschalaussage: „Dynamisches Arbeiten wird empfohlen.“ (Mal stehen, mal sitzen, nicht zu viel Heben und Tragen, 5–20 kg, nicht über die Maßen bücken, keine Drehbewegungen, nicht zu viel Zeitdruck, Stress vermeiden.) Schön wären hier, unter Berücksichtigung des Datenschutzes, konkretere Aussagen bezogen auf den Fall (keine Diagnosen!). Was kann der Mitarbeiter nach den Rehabilitationsmaßnahmen aus Sicht des Trägers noch innerhalb seiner Tätigkeit leisten?
Gedankenanstoß: Vielleicht wäre die Wandlung des Arbeitgebers vom reinen Beobachter zum zusätzlichen Begleiter innerhalb der Reha-Durchführung, wenn es sich um Tätigkeitsorientierung handelt, hilfreich? Hierdurch könnte auch der Reha-Prozess (Erfolg und Nachhaltigkeit) an sich gewinnen.

Wie werden die unterschiedlichen Leistungsbereiche bzw. Akteure verzahnt?

Budget für Arbeit
Um den gesetzlichen Auftrag, den Übergang von der Werkstattbeschäftigung auf den allgemeinen Arbeitsmarkt, zu forcieren, haben wir uns als Land mit den Akteuren in einer Zielvereinbarung u. a. über die „Schaffung“ eines Budgets für Arbeit verständigt.
Aufgrund unserer landesgesetzlichen Regelungen wird die Leistungsgewährung im „konkreten Einzelfall“ von den 36 örtlichen Trägern der Sozialhilfe (kreisfreien Städte und Landkreise) übernommen. Die Kosten des Budgets sind gedeckelt; sie sollen die tatsächlich entstandenen Kosten im Arbeitsbereich der Werkstatt nicht übersteigen. Das Land Rheinland-Pfalz beteiligt sich mit 50 % an den Kosten des Budgets für Arbeit. Die Kostenbeteiligung erfolgt seit 1. Januar 2014 im Rahmen des Kommunalen Finanzausgleichs.

ABMR in der DGUV
Besonders in den Blick zu nehmen ist der optimale Zeitpunkt für den Beginn einer ABMR. Wichtig ist, dass die erforderliche und zurückgewonnene Grundbelastung der Versicherten stimmt, damit der Grundstein für den Beginn der Maßnahme gelegt werden kann. Wie bei allen Maßnahmen im Reha-Prozess ist es elementare Aufgabe der Reha-Manager / innen, die Maßnahmen zur Rehabilitation zu koordinieren, mit den beteiligten Akteuren abzustimmen sowie rechtzeitig zu initiieren und einzuleiten. Die ABMR ist frühzeitig in den Reha-Plan zu integrieren. Auch in dieser Rehabilitationsphase ist es zwingend erforderlich, die Versicherten multimodal zu behandeln, psychisch zu unterstützen und bei Bedarf zu stabilisieren. Damit ist nicht gemeint, andere Module wie das Psychotherapeutenverfahren separat anlaufen zu lassen, sondern psychologische oder  neuropsychologische Komponenten direkt in die ABMR zu integrieren. Im Klartext heißt dies, persönliche Kontexte und Eigenschaften der Versicherten wie Ängste, unzureichende Stressbewältigung, falsche Selbsteinschätzung der Belastbarkeit oder externe Faktoren wie z. B. Mobbing am Arbeitsplatz frühzeitig bei der Therapie zu berücksichtigen. Idealerweise sind vom Reha-Manager diese Einflussfaktoren bereits im Vorfeld recherchiert.

Geriatrische Reha
Verzahnung der Leistungsbereiche über die klassischen Sektorengrenzen hinweg ist für geriatrische Patienten ein zentrales Thema, da diese i. d. R. bei Übernahme in die Rehabilitation keine „unbeschriebenen Blätter“ sind, sondern oft schon viele Vorversorger (Angehörige, Hausarzt, Pflegedienste) mit unterschiedlichen,  erfolgreichen oder weniger erfolgreichen Versorgungsansätzen involviert waren. Diese müssen i. d. R. auch die Nachbetreuung weiter übernehmen. Geriatrische Rehabilitation ist daher wie kaum eine andere auf kontinuierliche, sektorenübergreifende Kommunikation angewiesen, soll sie nachhaltig erfolgreich sein. Einheitliche Screenings und Assessments an den Sektorengrenzen und gestufte rehabilitative  Angebotsstrukturen können diese Verzahnungsherausforderungen erleichtern. Auch die Frührehabilitation ist für alte Menschen ein solcher wichtiger Vernetzungsbaustein zwischen Kuration und Rehabilitation. Perspektivisch brauchen wir noch explizitere Casemanagementstrukturen als Bindeglied zwischen medizinischer und kontextlicher Versorgungskoordination.

BEM bei Unternehmen
Den Rahmen für diese Thematik bietet das BEM. Dort werden die verantwortlichen Träger mit integriert. Nach erstem internem Gespräch wird, nach Zustimmung des Mitarbeiters, als überwiegend erster externer Akteur die jeweilig zuständige Krankenkasse hinzugezogen. Sollte es sich während des Prozesses ergeben, dass andere externe Akteure eingeschaltet werden müssen oder die Krankenkasse nicht zuständig ist, wird dies über das Gesundheitsmanagement koordiniert.
Die Koordination erfolgt wie unter Punkt 2 bereits erwähnt über das Gesundheitsmanagement. Hier werden die internen Akteure wie Arbeitsmedizin, Arbeitsschutz, Fachbereiche, Betriebliche Gesundheitsförderung, Betriebsrat, Schwerbehindertenvertretung, Personalabteilung und Personal- und Sozialentwicklung sowie die externen Akteure wie Krankenkassen, Rentenversicherung, Agentur für Arbeit, Integrationsamt, Berufsgenossenschaft, Unfallversicherung, mit dem Ziel, den Mitarbeiter schnellstmöglich wieder in den Arbeitsprozess zurückzuführen, koordiniert, informiert und organisiert.

Was muss noch verbessert werden?

Budget für Arbeit
Eine zielgerichtete Leistungsgewährung kann nur erfolgen, wenn die Beteiligten (Werkstätten, örtliche Träger und – potenzielle – Arbeitgeber mit dem Menschen mit Behinderungen und evtl. seinem Betreuer bzw. seinen Angehörigen) zusammenarbeiten. Dabei ist die dauerhafte Rückkehrmöglichkeit in die Werkstatt ein ganz wichtiges Element. Es ist sicherlich wichtig, diese Kommunikation noch weiter zu verbessern.

ABMR in der DGUV
Die Verzahnung und der nahezu tägliche Austausch der behandelnden Ärzte und Therapeuten ist zwingend erforderlich und weiter zu forcieren. Aus diesem Grund gilt es zukünftig, die für die ABMR vorgesehenen Therapieelemente weiterhin anzupassen und zu ergänzen. Außerdem sollte der bisher fixe Zeitkorridor von vier Wochen überdacht werden, weil er sich ausschließlich an den physischen Arbeitsbelastungen orientiert.

Geriatrische Reha
Besondere Bedarfe für geriatrische Rehabilitationsmaßnahmen müssen bspw. durch Anwendung obligater Screeningverfahren erkannt werden. Die alte Kunst generalistisch medizinischer Koordinationsfunktion muss wieder stärker wertgeschätzt und wahrgenommen werden, von den Hausärzten in der ambulanten  Versorgung wie von Geriatern in klinisch-stationären Strukturen. Unterstützung und Entlastung brauchen sie durch – am besten sektorenübergreifend begleitende –, noch patientenfreundlicher zu konzipierende Koordinationsstrukturen für die kontextliche Versorgung. Letztlich sollten die Chancen mobiler rehabilitativer Leistungserbringung im gewohnten Wohnumfeld der Versicherten nicht nur im Sinne von Ausnahmefällen, sondern auch zur Verbesserung der Nachhaltigkeit nach stationären oder extern ambulanten Rehamaßnahmen genutzt werden.

BEM bei Unternehmen
Allumfassend ist das Thema Kommunikation unter den Trägern, hier besteht erheblicher Bedarf. Besonders in Fällen des Übergangs von Leistungsbezügen bzw. mehrerer Träger oder Trägerübergängen, werden die betroffenen Mitarbeiten nicht gut betreut und oftmals im Bürokratiedschungel allein gelassen. Man gewinnt den Eindruck, dass es nicht um die schnelle Rückkehr der Mitarbeiter an den Arbeitsplatz oder den fließenden sicheren Übergang in Rente geht, sondern um reine Kostenabwehr.