Der Mensch hinter den Zahlen – Polytrauma

Fallbeispiel

Für Menschen, die durch einen Unfall oder ein anderes Ereignis schwerste Verletzungen davongetragen haben, geht es zunächst einmal darum, die Verletzungen medizinisch zu behandeln. Dies erfolgt im Rahmen der Akutbehandlung. Dank des medizinischen Fortschritts überleben heutzutage immer mehr schwerstverletzte Menschen.

Hintergrund

Das ist erfreulich – überleben allein reicht aber nicht aus: Es geht um Rückkehr ins Leben, es geht um Teilhabe. Und hier kommt die Rehabilitation ins Spiel. Vielfach sind schwerstverletzte Menschen nach Verlassen der Klinik noch sehr beeinträchtigt und – im „klassischen Sinn“ noch nicht rehabilitationsfähig. Wenn schwerstverletzte Menschen deshalb anstelle einer notwendigen weitergehenden Rehabilitation nach Hause entlassen, in eine Kurzzeitpflege oder sogar in die Langzeitpflege verlegt werden, geht wertvolle Zeit verloren. Möglichkeiten, ihre funktionale Gesundheit weiter zu verbessern und eine bestmögliche Teilhabe am sozialen und beruflichen Leben zu erreichen, bleiben ungenutzt.

Schilderung eines Patienten nach Polytrauma*

Akut-Krankenhaus – anschließende Kurzzeitpflege im Altenheim als Übergangslösung. * 44 Jahre alt, Handwerksmeister

Der Patient Herr S. hatte nach einem schweren Verkehrsunfall am 16.04.2019 beide Beine mehrfach gebrochen, eine Rippenserienfraktur und viele schmerzhafte Prellungen am ganzen Körper. Er wurde notfallmäßig operiert.

„Nach zwei Tagen auf der Intensivstation hatte ich zwei Pumpen an den Füßen, die für die Blutzirkulation sorgen sollten. Der ganze Körper schmerzte. Auf der Herzseite waren die Rippen und das Bein gebrochen. Das andere Bein war nach der fünfstündigen Operation auf einen Umfang von 53 cm angeschwollen.“

Herr S. brauchte weitere zwei Tage, um mit der Situation klar zu kommen. Aber er wollte so schnell wie möglich wieder auf die Beine kommen. Nach Intensivstation und erfolgreicher Behandlung im Krankenhaus sollte sinnvollerweise eigentlich eine weitergehende Reha begonnen werden.

„Auf der Fahrt mit dem Rettungswagen war ich noch guter Dinge. Doch ich wurde zur Kurzzeitpflege in ein Altenheim transportiert und meine Euphorie löste sich schnell in Luft auf. Ich lag mit einem 88-jährigen depressiven und dementen Mann in einem Doppelzimmer und Nachtruhe war ab 21 Uhr einzuhalten. Das Essen wurde mir im Speisesaal in mundgerechten Stücken serviert.“

Therapien, die notwendig gewesen wären, um Beweglichkeit und Selbstständigkeit des Patienten zu verbessern, konnten in der Kurzzeitpflege natürlich nicht angeboten werden.

„Gut, dass es grundsätzlich die Möglichkeit der Kurzzeitpflege gibt. Aber für mich war die Zeit im Altenheim verlorene Zeit. Das hat mich nicht weitergebracht – was Alltag und Beruf anbelangt.“

Nach Intensivstation und erfolgreicher Behandlung im Krankenhaus erhoffte und erwartete Herr S. als nächsten Schritt weitere Unterstützungsmaßnahmen für den Weg zurück in sein altes Leben. Das Beispiel zeigt, dass es für den 44-Jährigen einer geeigneten Rehabilitation anstelle von Pflege bedurft hätte. Experten sprechen hier von einem „Reha-Loch“, das es zu schließen gilt. Dabei gibt es Beispiele, die zeigen, was
alles mit Hilfe einer passgenauen Rehabilitation erreicht werden kann.

Allerdings gibt es im Gesundheitswesen bisher keine Routinedaten zur genauen Quantifizierung der Versorgungslücke polytraumatisierter Patienten, die Definition und Kodierung von Polytrauma ist uneinheitlich und das Schnittstellenmanagement weist Diskontinuitäten und Brüche auf. Auch fehlt es derzeit an geeigneten rehabilitativen Strukturen. Auf Ebene der BAR haben sich die Reha-Träger zusammen mit Experten auf dem Gebiet des Polytrauma dieses Themas angenommen und sehen Handlungsbedarf. Diskutiert werden Fragen nach neuen oder angepassten Versorgungsmodellen, die dem schwerstverletzten Menschen mit seinen spezifischen Bedarfen an passgenauer Unterstützung helfen, bestmöglich „an allen Aspekten des Lebens“ wieder teilzuhaben, wie es die UN-BRK festschreibt. Modelle zu erproben und in der Routine nutzbar zu machen, ist die Zielsetzung.

Quelle:
Das Beispiel wurde aus dem Sachverständigenrat der Ärzteschaft der BAR zur Verfügung gestellt.