Teilhabebericht der Bundesregierung

Es besteht weiterhin Handlungsbedarf

Politische Teilhabe reicht vom aktiven bis hin zum passiven Wahlrecht, bedeutet Mitwirkung in politischen Gremien auf der Bundes-, Landes- oder kommunalen Ebene, Partizipation bei Beteiligungsverfahren oder aktive Mitgliedschaft in Parteien oder Organisationen. Der Teilhabebericht der Bundesregierung zeigt Gemeinsamkeiten und Unterschiede zwischen Menschen mit und ohne Behinderung auf.

Der Bericht macht deutlich, wie wichtig es war, im Jahr 2019 den Wahlrechtsausschluss für diejenigen Menschen aufzuheben, bei denen eine Betreuung für alle Angelegenheiten besteht, und solchen, die wegen Schuldunfähigkeit in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht sind. Anlass für die Änderung war ein Urteil des Bundesverfassungsgerichtes, das die bisherige Regelung für verfassungswidrig erklärt hatte. Seitdem können sich diese Personengruppen, wie andere auch, an Wahlen auf den unterschiedlichen Ebenen beteiligen.

Menschen mit Behinderungen gehen inzwischen fast genauso oft wie Menschen ohne Behinderung wählen, das heißt, die Unterschiede haben sich im Verlauf der Jahre angeglichen (BMAS 2021, S. 717). Welche Rolle die Barrierefreiheit spielt, ist nicht bekannt. Aber es kann an vielen Stellen beobachtet werden, dass im Laufe der letzten Jahre das Bewusstsein der Verantwortlichen für die unterschiedlichen Barrieren gewachsen ist und die entsprechenden rechtlichen Wahlvorschriften umgesetzt werden. Wahllokale werden in der Regel so ausgewählt, dass sie für Menschen mit Mobilitätseinschränkung zugänglich sind, blinde Menschen können mit Hilfe von Schablonen den Wahlzettel nutzen und es gibt Informationen in Leichter Sprache für Menschen mit Lernschwierigkeiten.

Eigene Erfahrungen bei Beteiligungsprozessen auf der kommunalen Ebene zeigen allerdings, dass im Alltag Barrieren das Engagement von Menschen mit Behinderungen erschweren oder unmöglich machen. Immer wieder erleben Menschen im Rollstuhl, dass sie an Sitzungen, Informationsveranstaltungen oder Workshops nicht teilnehmen können, weil diese in für sie nicht zugänglichen Räumen stattfinden. Menschen, die auf die Gebärdensprache angewiesen sind, können nur in Ausnahmefällen an Sitzungen oder Veranstaltungen teilnehmen.

Nur wenige kommunale Haushalte haben ein Budget für die Übersetzung vorgesehen. Dokumente liegen nur in Ausnahmefällen in barrierefreier Fassung vor, was das Engagement von Menschen mit Sehbeeinträchtigung erschwert. Für Menschen mit Lernschwierigkeiten gibt es wenige Möglichkeiten, sich zu engagieren, weil es nur wenige Informationen in Leichter Sprache gibt oder weil die Sitzungsformen nicht ihrem Bedarf entsprechen.

Vor diesem Hintergrund verwundert es nicht, wenn Menschen mit Behinderung vergleichsweise selten in Parlamenten auf Ebene der Kommunen, der Länder und des Bundes vertreten sind (Düber et al. 2018). Der Anteil der Menschen mit Beeinträchtigungen, die häufig oder zumindest ab und zu politisch aktiv sind, ist mit 7,4 Prozent etwas geringer als bei Menschen ohne Beeinträchtigungen (8,9 Prozent) (BMAS 2021, S. 717). Der Bundesteilhabebericht gibt wichtige Hinweise auf die Möglichkeiten für die politische Teilhabe von Menschen mit Behinderungen. Er zeigt Handlungsbedarf auf und weist auf Lücken hin, die durch weitere Forschung geschlossen werden sollten – selbstverständlich mit Beteiligung von Menschen mit Behinderungen.

Literatur
  • Bundesministerium für Arbeit und Soziales (2021): Dritter Teilhabebericht der Bundesregierung über die Lebenslagen von Menschen mit Beeinträchtigungen – Teilhabe – Beeinträchtigung – Behinderung. www.bmas.de/DE/Service/Publikationen/a125-21-teilhabebericht
  • Düber, Miriam; Rohrmann, Albrecht; Windisch, Marcus (2018): Barrierefreie Partizipation. Herausforderung für die Soziale Arbeit. In: Stehr, Johannes; Anhorn, Roland; Rathgeb, Kerstin (Hg.): Konflikt als Verhältnis – Konflikt als Verhalten – Konflikt als Widerstand. Widersprüche der Gestaltung Sozialer Arbeit zwischen Alltag und Institution. Springer VS, Wiesbaden, S. 253–264.