Ein großer Schritt ist getan

Zum Abbau von Wahlhürden für Menschen mit Behinderungen

Die Bundestagswahl am 26. September 2021 steht vor der Tür. Viele Bürgerinnen und Bürger mit Behinderungen interessieren sich für Politik und möchten gesellschaftliche Prozesse mitgestalten. Das Recht, politische Vertreterinnen und Vertreter zu wählen und selbst als gewählte Vertreterin oder Vertreter an der Gestaltung von Politik und Gesellschaft mitzuwirken, ist ein Grundrecht deutscher Staatsbürgerinnen und Staatsbürger. Es ist in Artikel 38 des Grundgesetzes (GG) für die Bundesebene und in Artikel 28 GG für die Ebene der Länder und Kommunen verankert.

Mit der Ratifizierung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) hat sich Deutschland zudem verpflichtet sicherzustellen, dass Menschen mit Behinderungen gleichberechtigt mit anderen wirksam und umfassend am politischen und öffentlichen Leben teilhaben können, sei es unmittelbar oder durch frei gewählte Vertreterinnen oder Vertreter. Dies schließt auch die Möglichkeit ein, zu wählen und gewählt zu werden (Art. 29 UN-BRK).

Bis vor Kurzem waren in Deutschland rund 85.000 Menschen mit Behinderungen vom Wahlrecht ausgeschlossen. Das betraf Personen, die eine Betreuung in allen Angelegenheiten hatten, und Personen, die im Maßregelvollzug in einem psychiatrischen Krankenhaus untergebracht waren. Dieser Ausschluss wurde Anfang 2019 vom Bundesverfassungsgericht für verfassungswidrig erklärt. Daraufhin änderten der Bund und viele Länder ihre Wahlgesetze. Manche Bundesländer – wie beispielsweise Nordrhein-Westfalen und Schleswig-Holstein – hatten die Wahlrechtsausschlüsse bereits seit 2016 abgeschafft; Baden-Württemberg korrigierte im Oktober 2020 als letztes Bundesland sein Wahlgesetz.

Bereits als Landesbehindertenbeauftragter in Brandenburg hatte ich die Abschaffung der Wahlrechtsausschlüsse vorangetrieben und mich dann auch in meiner aktuellen Funktion auf Bundesebene dafür stark gemacht. Ich bin sehr froh, dass die völkerrechts- und verfassungswidrigen Ausschlüsse nun der Vergangenheit angehören und wir in Deutschland auf Bundes- und Landesebene inklusive Wahlgesetze haben.

Politische Information für alle

Für eine gleichberechtigte Teilhabe von Menschen mit Behinderungen am politischen Leben ist ebenso wichtig, dass auch die Rahmenbedingungen für die Ausübung des Wahlrechts inklusiv gestaltet sind. In den wahlrechtlichen Vorschriften auf Bundesebene finden sich entsprechende Regelungen:

So müssen die Kommunen den Wahlberechtigten frühzeitig und in geeigneter Weise mitteilen, welche Wahlräume barrierefrei sind. Allen Wahlberechtigten steht die Möglichkeit der Briefwahl zur Verfügung. Wählerinnen und Wähler, die wegen einer Behinderung gehindert sind, den Stimmzettel zu kennzeichnen, zu falten oder selbst in die Wahlurne zu werfen, können sich bei der Stimmabgabe der Hilfe einer von ihnen bestimmten Hilfsperson bedienen. Menschen mit einer Sehbeeinträchtigung können eine Stimmzettelschablone nutzen. Der Bundeswahlleiter stellt zum Ablauf der Bundestags- oder Europawahl auf seiner Internetseite Informationen in leichter Sprache zur Verfügung. Und schließlich bietet auch die Bundeszentrale für politische Bildung Informationen zur Bundestagswahl in barrierefreien Formaten an. Alles in Allem kann man sagen, dass die Menschen mit Behinderungen in Deutschland gute Bedingungen vorfinden, um ihr Wahlrecht auszuüben. Dies zeigen auch Erhebungen des SOEP aus dem Jahr 2018: Danach war der Anteil der Menschen mit Beeinträchtigungen, die sich an der Bundestagswahl 2017 beteiligten, mit 84,6 Prozent nur etwas geringer als bei den Menschen ohne Beeinträchtigungen mit 87,1 Prozent.
Voraussetzung für umfassende politische Partizipation von Menschen mit Behinderungen ist schließlich eine inklusive und barrierefreie Informationsvermittlung in den Medien und eine fundierte politische Bildung für alle Menschen.

Die Möglichkeit der politischen Teilhabe für alle Menschen ist Grundvoraussetzung einer funktionierenden Demokratie. Deshalb lautet das Motto meiner Amtszeit auch „Demokratie braucht Inklusion“. Mit der Abschaffung der pauschalen Wahlrechtsausschlüsse haben wir viel erreicht. Einige Menschen mit Behinderungen werden im September zum ersten Mal in ihrem Leben an einer Bundestagswahl teilnehmen können. Das ist ein großer Schritt auf dem Weg zu einer inklusiven Gesellschaft.