Partizipation ist der Gradmesser

Zwischen persönlichen Potenzialen und Anforderungen am Arbeitsplatz

Die UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) ist eine Errungenschaft von eminenter Bedeutung für die Zeit und die Welt, in der wir leben. Weltweit gibt sie die notwendige Orientierung: Gesellschaftliches Zusammenleben und staatliche Rechtsprechungen richten sich global danach aus. Geschaffen worden ist sie mit umfassender Beteiligung und Expertise betroffener Menschen mit Behinderungen. Dies war und ist der Garant für ihren Anspruch und ihre Allgemeingültigkeit.

Für Deutschland ist die Umsetzung der UN-BRK Auftrag und Impuls. Das Bundesteilhabegesetz in all seinen Facetten ist Ausdruck dessen. Menschen mit Behinderungen erhalten die angemessene Aufmerksamkeit und rechtlichen Ansprüche – und werden endlich als gleichberechtigter Teil unserer Gesellschaft wahrgenommen.

Soweit der ideelle Anspruch. Der Gesetzgeber hat im letzten Jahrzehnt einiges unternommen, um dem hohen Anspruch nachzukommen. Nicht in dem Umfang und der Konsequenz, die zahlreiche Betroffene fordern. Die institutionalisierten Formen der Unterstützung der Vergangenheit sind Ballast und vorhandene Strukturen erweisen sich als Barrieren für einen Umbau. Aber und vor allem: Politik und Gesellschaft haben sich auf den Weg gemacht. Auch wenn der Weg noch weit ist. Die Ausgangslage ist mittlerweile günstiger, als zur Zeit der Ratifizierung. Seit 2009 immerhin ist die UN-BRK hier geltendes Recht.

Auf das Arbeitsleben hat dies weitreichende Auswirkungen. Potenziale kommen in den Blick, aber auch Pflichten und gesellschaftliche Verantwortung von Unternehmen. Der Mensch in der Arbeitswelt erhält mehr Bedeutung. Mit dem Begriff der Inklusion tut man sich freilich schwer – mit all seinen Konnotationen. Nur mühsam gelingt der Schritt in ein neues Zeitalter. Unternehmen gelingt es dabei eher, sich für Neues zu öffnen und mit der Zeit zu gehen. Auch wenn es Aufwand erfordert, scheint es, dass die Mühe lohnen könnte. Wandel gehört zum Unternehmertum. Die Praxis zeigt zunehmend Interesse, begünstigt auch von zentralen Regelungen und Verpflichtungen seitens der Europäischen Union.

Es braucht politischen Willen

Behörden tun sich ungleich schwerer. Anstelle tatkräftiger Umsetzung und Unterstützung für das Neue, ist das Festhalten an Gewohntem bis hin zur Verschleppung durch langatmige Antragsbearbeitung sichtbar. Ein unrühmliches Beispiel ist vielerorts das Budget für Arbeit, dem es am Willen zur Umsetzung zu fehlen scheint, obwohl Betroffene und Arbeitgeberinnen und Arbeitgeber in der Praxis dafür bereit sind. Die Praxis ist ablesbar an der Beanspruchung in den einzelnen Bundesländern: von intensiver bis hin zur sporadischen Nutzung mit kleinen Fallzahlen. Wo der Wille da ist, wird es zu einem äußerst zielführenden Instrument. Problem für die Zielgruppe: Betroffene haben kaum eine Lobby, der politische Wille wird nicht mit Nachdruck umgesetzt.

Oder ein anderes Beispiel: die Unterstützte Beschäftigung (UB). 2009 ist sie ins SGB IX aufgenommen worden, mit maßgeblicher Unterstützung von Betroffenen – Access Inklusion konnte hierzu einen Beitrag leisten. Die gesetzliche Verankerung war gelungen. Beim Ausschreibungsverfahren zur UB bestehen hingegen weiterhin Zweifel. Im Gegensatz zur etablierten Förderung von Maßnahmen, beispielsweise in Berufsbildungswerken oder Werkstätten für behinderte Menschen, wird die Maßnahme der UB ausgeschrieben. Ein ganz anderer Maßstab wird angelegt. Konkurrenz dominiert die Vergabe. Der Preis bestimmt, nicht die Qualität – auch wenn Gegenteiliges behauptet wird. Wird der Kennzahlkorridor verfehlt, kommt die Qualität nicht mehr zum Tragen. Die Vergabepraxis droht erworbene Qualität zu vernichten. Denn die Anforderungen an das Personal in der UB sind enorm. Job Coaches vermitteln in einem komplexen Beziehungsgefüge: Von pädagogisch-didaktischer Qualifikation über Tätigkeitsanalysen bis zum Beziehungsmanagement mit Kolleginnen und Kollegen sowie Vorgesetzten im Betrieb sind sie gefordert. Fachliche Expertise ist ein Schlüssel zum Erfolg.

Wo Staat und Politik sich proaktiv einbringen und Partizipation nutzen, gelingen Teilhabe und Inklusion.

 

Zeitgemäße Konzepte setzen an der Individualität an und erreichen eine Passung zwischen den persönlichen Potenzialen einer Arbeitskraft mit Beeinträchtigungen und den Anforderungen am Arbeitsplatz im Betrieb. Dienstleister für Inklusion, die am Arbeitsmarkt agieren, sind für nachhaltige Teilhabe unerlässlich. Staatliche Förderung hat hier einen Auftrag, eine entsprechende Infrastruktur zu schaffen. Und es ist eine Herausforderung, der sich ein gegliedertes und tendenziell standardisiertes Reha-System stellen muss. Das Beispiel UB zeigt auch, dass die Mitgestaltung des politischen Diskurses möglich und notwendig ist. Die Praxis profitiert: Mehr als 60  Prozent der begleiteten Personen werden von Access seit Jahren nachhaltig in die Arbeitswelt integriert.

Offensichtlich müssen Fortschritte in der Politik mit und für Menschen mit Behinderungen erarbeitet und erkämpft werden, damit Entwicklungen einen gewinnbringenden Verlauf nehmen. Wo Staat und Politik sich proaktiv einbringen und Partizipation nutzen, gelingen Teilhabe und Inklusion. Betroffene und ihre Organisationen wünschen viel mehr davon. Partizipation bleibt der Gradmesser für die Ernsthaftigkeit, mit der Staat und Politik agieren.

Die Jobcoaches von Access Inklusion im Arbeitsleben unterstützen Menschen mit Behinderungen bei der beruflichen Inklusion in den allgemeinen Arbeitsmarkt. access-inklusion.de