6 Fragen an Steven Wallner und Benny Tröllmich

Politische Teilhabe von Menschen mit Behinderungen aus der Binnenperspektive

Wir haben Menschen mit Beeinträchtigungen zu ihrer politischen Teilhabe befragt. Steven Wallner und Benny Tröllmich haben die Fragen aus ihrer persönlichen Perspektive heraus beantwortet. Sie arbeiten in der EUTB - Beratungsstelle des Vereins Leben mit Handicaps e. V. in Leipzig. Steven Wallner arbeitet auf einem Außenarbeitsplatz an zwei Tagen in der Woche als Experte für Leichte Sprache in der Beratungsstelle.

Seine Aufgaben sind die Prüfung von Informationen in Leichter Sprache, die Durchführung von Einführungsveranstaltungen und vor allem die Begleitung von Beratungen in Leichter Sprache. Die Beratungen in Leichter Sprache werden als Tandemberatungen angeboten. Beschäftigt ist Steven Wallner in der Werkstatt für behinderte Menschen der Diakonie am Thonberg Leipzig. Er hat eine körperliche Einschränkung und eine Lernbehinderung. Benny Tröllmich ist hauptamtlicher Berater der EUTB. Er ist Mitglied im Behindertenbeirat der Stadt Leipzig und blind. Lesen Sie hier, was die beiden über ihre politische Teilhabe sagen.

1. Machen Sie bei der Politik in ihrem Wohnort mit?

Benny Tröllmich: Ja, ich bin vor etwas mehr als vier Jahren in die Partei Bündnis 90/Die Grünen eingetreten und bin seit Sommer 2018 Mitglied im Behindertenbeirat der Stadt Leipzig für die Grüne Stadtratsfraktion und arbeite eng mit der Stadträtin Nuria Silvestre, Sprecherin für Inklusion und Migration, zusammen.
Steven Wallner: Ich gehe wählen. Ich durfte schon immer wählen, seit ich 18 war. Manchmal weiß ich nicht, was ich wählen soll. Ich nutze hin und wieder den Wahlomat. Die AfD würde ich nicht wählen. Es gab mal in der Volkshochschule einen Kurs zum Wählen. Den habe ich besucht. Dort konnten wir Fragen stellen, die uns beantwortet wurden. Der Kurs war speziell für Menschen mit Behinderungen. Interessant war, die Politiker kennenzulernen. Es gab auch Wahlprogramme in Leichter Sprache, aber nicht von allen Parteien. Das war sehr schade. Es gibt ja viele Menschen, die Leichte Sprache brauchen. In unserer Werkstatt gab es auch mal einen Kurs zum Thema Wahlen.

2. Warum wollen Sie politisch mitreden?

Benny Tröllmich: Um einen Beitrag für ein besseres Miteinander, für mehr Gerechtigkeit und Chancengleichheit für alle in unserer Gesellschaft zu leisten und um an einer lebenswerten Zukunft mitgestalten zu können. Ich möchte hier an dieser Stelle gerade Menschen mit Behinderungen ermuntern, in den Parteien aktiv zu werden, die sich für Inklusion einsetzen, und so Politikerinnen und Politikern in den Kommunen, auf Landes- oder Bundesebene mit Rat zur Seite zu stehen bzw. sich in Arbeitsgruppen der Parteien einzubringen oder selbst für ein Amt oder Mandat zu kandidieren. Es braucht vor allem auch Expertinnen und Experten in eigener Sache, also Menschen mit Behinderungen, wenn es um Entscheidungen in den Bereichen Inklusion und Teilhabe für Menschen mit Behinderungen geht. Natürlich ist es auch wichtig, bei allen anderen Themen mitreden oder -entscheiden zu können, denn Menschen mit Behinderungen sind ja ebenso vielfältig interessiert an allen anderen Themen, die unsere Gesellschaft bewegen.

Steven Wallner: Wenn mich etwas interessiert oder ich etwas weiß, würde ich mitreden.

3. Gibt es für Sie Hindernisse bei der Teilhabe am politischen Leben?

Steven Wallner: Manche Informationen sind schwer zu verstehen.

Benny Tröllmich: Für mich als blinder Mensch stellen nicht-barrierefreie Dokumente solch ein Hindernis dar, aber auch Treffen an mir unbekannten Orten, wo mir jede Orientierung fehlt. Das sorgt bei mir für erhöhten Stress, weil ich eine große Konzentration aufbringen muss, um allein diese Herausforderung zu bewältigen. Weitere Hindernisse wären zudem auch Präsentationen, deren Inhalte nicht kommuniziert werden, oder ausgedruckte Handreichungen.

4. Wird Ihre Meinung auch gehört?

Benny Tröllmich: Ja, „meine“ Fraktion hält Rücksprache mit mir bei Vorhaben seitens der Stadt oder Anträgen, die Belange von Menschen mit Behinderungen berühren. Und ich arbeite auch an den Anträgen oder Änderungsanträgen mit, die im Stadtrat eingebracht werden. Zudem stehe ich auch mit Landespolitikerinnen und -politikern im Austausch.

Steven Wallner: Es kommt darauf an, welche Fragen ich gestellt habe oder was mich interessiert.

5. Was würden Sie gerne mitbestimmen in der Politik?

Benny Tröllmich: Vieles! Wenn ich alles an dieser Stelle aufzählen sollte, würde dies den Rahmen dieses Interviews sprengen. Wie ich aber bei einer anderen Frage erwähnte, nehme ich bereits im gewissen Maße Einfluss vor Ort, indem ich mich aktiv bei der Erarbeitung von Anträgen oder Änderungsanträgen zu den Themen Inklusion und Teilhabe von Menschen mit Behinderungen einbringe. Was ich mir aber sehr wünschen würde, wären Förderschulen für alle! Denn ohne eine inklusive Bildung von der Kita bis zum Abitur wird das Ziel einer Inklusiven Gesellschaft nicht zu erreichen sein, und Menschen mit Behinderungen werden weiterhin von diskriminierendem Verhalten unserer Mitmenschen, von Stigmatisierung und Ausgrenzung betroffen sein.

Steven Wallner: Barrierefreiheit würde ich mitbestimmen wollen. An Doppelhaltestellen hält die zweite Bahn im nicht barrierefreien Bereich und die Bahn hält nicht noch einmal an den angehobenen Stellen. Das führt dazu, dass ich nicht aussteigen kann. Ich muss bis zur nächsten Haltestelle fahren und dann mit einer entgegenkommenden Bahn zurück. Es gibt außerdem zu wenig behindertengerechte Wohnungen. Es werden viele Hotels gebaut, aber keine bezahlbaren Wohnungen für Rollstuhlfahrer.

6. Was würden Sie ändern, wenn Sie Bundeskanzler wären?

Steven Wallner: Mindestlohn für Beschäftigte der Werkstätten für behinderte Menschen. Ich würde alte Straßenbahnen mit Stufen rausschmeißen. S-Bahnen würde ich barrierefei machen, so dass der Fahrer nicht extra aussteigen muss, um die Rampe anzulegen. Außerdem brauchen wir mehr Behindertentoiletten in der Öffentlichkeit, also außerhalb von Einkaufszentren und Passagen. Zudem brauchen wir mehr Angebote für Rollstuhlfahrer für barrierefreies Reisen. Da gibt es noch nicht viele Anbieter.

Benny Tröllmich: Vermutlich würde ich das kürzlich beschlossene Barrierefreiheitsstärkungsgesetz, das in der vorliegenden Form äußerst unzureichend verfasst ist und von der derzeitigen Regierungskoalition beschlossen wurde, zu einem im Sinne der UN-Behindertenrechtskonvention wirksamen Instrument machen, das die uneingeschränkte Teilhabe für Menschen mit Behinderungen ermöglicht.
Zudem würde ich einen eindeutigen Rechtsanspruch für Kinder mit Behinderungen auf persönliche Assistenz schaffen, denn auch Kinder mit Behinderungen müssen unabhängig von ihren Eltern und ganz wie Kinder ohne Behinderung gleichen Alters selbstbestimmt ihre Freizeit gestalten und sich entwickeln können.