Kinder und Jugendliche mit seelischer Behinderung – die Jugendhilfe als Reha-Träger

von Christoph Grünenwald, Kommunalverband für Jugend und Soziales Baden-Württemberg

Wenn ein Jugendamt als Reha-Träger auftritt, dann geht es meist um Hilfen für Kinder und Jugendliche, die eine länger andauernde psychische Erkrankung haben. Leistungen zur Teilhabe der Jugendhilfe können auf unterschiedliche Weise unterstützen. So kommt es häufig vor, dass Kinder und Jugendliche zusätzliche Leistungen für den Besuch des Kindergartens (z. B. Integrationskraft) oder der Schule benötigen (z. B. Schulbegleitung bzw. -assistenz). Auch ergänzende Therapien (z. B. Reittherapie) sind denkbar. Bei schweren Beeinträchtigungen können stationäre Leistungen, wie die Unterbringung bei einer Vollzeitpflegeperson oder in einer Einrichtung, in Frage kommen. Hilfe zur Erziehung wiederum kann das Jugendamt für alle Kinder und Jugendlichen und deren Sorgeberechtigten – unabhängig von einer Erkrankung oder Behinderung – erbringen.

Fallbeispiel
Ein 12-jähriger Junge mit Asperger-Autismus verfügt über Kompetenzen für einen Realschulabschluss. Allerdings ist seine familiäre Situation nicht ganz einfach. Die Mutter ist psychisch instabil, hat aber eine gute Bindung zu dem Jungen. Denkbar wäre in diesem Fall die Unterbringung in einer Einrichtung mit Spezialisierung auf Asperger-Syndrom, die über eine Schule mit Realschulzweig verfügt. Nach einem Schulabschluss könnte der Junge eigentlich zurück zur Mutter und mit Unterstützung der zuständigen Agentur für Arbeit im Rahmen der  Ersteingliederung eine Ausbildung beginnen. Das ist vor Ort bei der Mutter jedoch nicht möglich. Es wird eine Kooperationslösung in einem Berufsbildungswerk (BBW) angedacht. Die Kosten der Ausbildung teilen sich die Agentur (Ersteingliederung) und das Jugendamt (Internatsunterbringung). Eine solche Lösung ist sinnvoll, da die Situation bei der psychisch labilen Mutter nicht verlässlich ist, eine vollstationäre Unterbringung in einer Heimeinrichtung dagegen auch nicht erforderlich ist.

Organisation und rechtliche Grundlagen

Verankert ist die Eingliederungshilfe für Kinder und Jugendliche mit einer (drohenden) seelischen Behinderung in § 35a SGB VIII. Die Jugendhilfe wird aus Steuermitteln finanziert. Die Träger der öffentlichen Jugendhilfe sind in den meisten Bundesländern kommunal organisiert. In diesem Bereich sind über 500 Jugendämter bundesweit aktiv (THVB 2019). Es handelt sich somit um einen sehr heterogenen Trägerbereich mit vielen lokalen Spezifika und offenem Leistungskatalog für zielgenaue Hilfen.

Hintergrund
Seit 1993 sind die Träger der öffentlichen Jugendhilfe sachlich zuständig für die Eingliederungshilfe bei seelisch behinderten Kindern und Jugendlichen. Die Leistungsgewährung an Kinder- und Jugendliche mit anderen Behinderungen oder Mehrfachbehinderungen liegt in der sachlichen Zuständigkeit der Eingliederungshilfe nach Teil II des Sozialgesetzbuches (SGB) IX.
Je nachdem, ob Kinder oder Jugendliche also von körperlichen, geistigen oder seelischen Behinderungen oder von Mehrfachbehinderungen bedroht oder betroffen sind, gibt es  innerhalb der Eingliederungshilfe unterschiedliche Zuständigkeiten. Nicht nur aus diesem Grund soll die Kinder- und Jugendhilfe weiterentwickelt werden. Im Koalitionsvertrag für die 19.  Legislaturperiode haben CDU/CSU und SPD vereinbart, die Kinder- und Jugendhilfe zu reformieren. Schon seit längerer Zeit strebt die Bundesregierung eine umfassende Reform des SGB VIII an. Dabei wird z. B. dem Inklusionsgedanken folgend über eine Gesamtzuständigkeit für alle Kinder und Jugendlichen im SGB VIII nachgedacht.

 

Die Jugendhilfe als Teil des gegliederten Systems

Eine aktuelle Herausforderung für die Jugendhilfe ist die Anwendung des Bundesteilhabegesetzes (BTHG). Hier haben bereits vielfach Fortbildungen für die Mitarbeiter der Träger der Jugendhilfe stattgefunden. Aufbauend auf die trägerübergreifenden Vereinbarungen (GE Reha-Prozess) hat die Bundesarbeitsgemeinschaft der Landesjugendämter (BAGLJÄ) für diesen Trägerbereich eine Handlungsempfehlung „Anforderungen an die Arbeit der Jugendämter“ entwickelt. Die Handlungsempfehlung stellt die wesentlichen Auswirkungen der Reformstufe 2  des Bundesteilhabegesetzes auf die Arbeit der Träger der öffentlichen Jugendhilfe in kompakter Weise dar. Die „Orientierungshilfe zum Teilhabeplanverfahren nach § 19 SGB IX für die  Eingliederungshilfe für seelisch behinderte Kinder und Jugendliche nach § 35a SGB VIII in Baden-Württemberg“ veranschaulicht, wie das Hilfeplanverfahren und das Teilhabeplanverfahren miteinander kombiniert werden könnten. Weitere Hilfestellungen bieten Handreichungen der BAR, wie der Vordruck Teilhabeplan oder der Fristenrechner.

Terminverschiebung RI-Kongress
Der 24. RI Weltkongress wird nicht wie ursprünglich geplant vom 8. bis 10. September 2020 stattfinden. Aufgrund der Corona-Pandemie hat sich Rehabilitation International dazu entschlossen den Weltkongress auf das Jahr 2021 zu verschieben. Der neue Termin ist vom 7. bis 9. September 2021 in Aarhus/Dänemark.