Genehmigungsfiktion nach § 18 Abs. 3 SGB IX führt (nur) zu Kostenerstattungsanspruch

Orientierungssatz

Die Genehmigungsfiktion nach § 18 Abs. 3 SGB IX begründet keinen Naturalleistungsanspruch auf die beantragte Leistung, sondern eine „Rechtsposition sui generis“; diese beschränkt sich auf ein Recht zur Selbstbeschaffung mit Anspruch auf Erstattung der Beschaffungskosten.

BSG, Urteil v. 26.05.2020, B 1 KR 9/18
* Leitsätze des Gerichts bzw. Orientierungssätze/Entscheidungsgründe nach JURIS, redaktionell abgewandelt und gekürzt

Sachverhalt und Entscheidungsgründe

Der Kläger beantragte bei der beklagten Krankenkasse (KK) am 24.2.2016 die Versorgung mit dem Arzneimittel Fampyra im „Off-Label-Use“. Die KK veranlasste eine Begutachtung durch den MDK und teilte dies unter dem 26.2.2016 mit. Die KK lehnte die beantragte Leistung mit Bescheid vom 17.5.2016 ab. SG und LSG verurteilten die KK zur Erbringung der Leistung mit der Begründung, dass durch Überschreitung der Frist des § 13 Abs. 3a SGB V eine Genehmigungsfiktion eingetreten war, woraus ein Anspruch auf die beantragte Leistung abgeleitet wurde. Das BSG hat die Sache zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das LSG zurückverwiesen.

Unter ausdrücklicher Aufgabe bisheriger BSG-Rechtsprechung wird die Zurückverweisung im Wesentlichen damit begründet, dass die Genehmigungsfiktion nach § 13 Abs. 3a SGB V nicht zu einem Natural- leistungsanspruch führt. Sie vermittelt dem Versicherten laut BSG eine „Rechtsposition sui generis“. Der Wortlaut der Vorschrift regelt die Rechtsnatur der Genehmigungsfiktion nicht. Gesetzesmaterialien, nach denen die Regelung es dem Versicherten insbesondere „erleichtern“ soll, „sich die ihm zustehende Leistung zeitnah zu beschaffen“ (vgl. BT-Drs. 17/11710 S. 30), sprechen für die Begrenzung auf einen Kostenerstattungs- anspruch. Dies gilt nach dem BSG auch für die Gesetzessystematik – z. B. den Umstand, dass § 13 Abs. 3a S. 7 SGB V lediglich einen Kostenerstattungs- anspruch ausdrücklich regelt. Als weiteres rechtssystematisches Argument nimmt das BSG die Vorschrift des § 18 Abs. 3 SGB IX ausführlich in den Blick. Mit dieser sollte „eine Rechtsposition sui generis geschaffen“ werden, diese „ersetzt keine behördliche Entscheidung“ (vgl. BTDrs. 18/9522, S. 238). Eine solche Auslegung widerspricht laut BSG auch nicht Sinn und Zweck des § 3 Abs. 3a SGB V. Die vom Gesetzgeber u. a. gewünschte Beschleunigung von Entscheidungen der KKen werde bereits durch die Möglichkeit der Selbst- beschaffung mit Kostenerstattungsanspruch erzielt. Eine Verletzung des allgemeinen Gleichheitssatzes (Art. 3 Abs. 1 GG) liege ebenfalls nicht vor. Dass finanziell besser gestellte Versicherte sich eine Leistung ggf. einfacher beschaffen können, werde vom Gesetzgeber in Kauf genommen. Ausführlich erörtert wird auch die „Gutgläubigkeit“ als Voraussetzung einer Genehmigungsfiktion, wenn materiellrechtlich kein Anspruch auf die beantragte Leistung besteht. Schließlich schlussfolgert das BSG vor dem Hintergrund der hier beantragten Dauerleistung (Medikamentenversorgung), dass die Genehmigungsfiktion nicht die Qualität eines Verwaltungsaktes hat und das Verwaltungsverfahren dementsprechend nicht beendet. Da das LSG – nach seiner Auffassung folgerichtig – keine Feststellungen zu den Voraussetzungen eines „Off-Label-Use“ getroffen hatte, war die Sache zurückzuverweisen.

Vor dem Hintergrund teils widersprüchlicher Gerichtsentscheidungen, eines unklaren Wortlauts und entsprechender Gesetzesmaterialien schafft das vorliegende Urteil Klarheit. Angesichts des ausführlichen Bezugs auf § 18 SGB IX wird sich diese voraussichtlich auch im Rehabilitationsrecht niederschlagen. Mit Blick auf die auch vom Gericht angesprochenen Gleichbehandlungsaspekte hat der VdK zwischenzeitlich Verfassungs- beschwerde angekündigt. Es bleibt abzuwarten, welche Folgen die Entscheidung für die Nutzung und Wirkung der „Genehmigungsfiktion“ in der Praxis haben wird.