Bio-psycho-soziale Aspekte der Reha bei onkologischen Erkrankungen

Mit wachsendem medizinischem Fortschritt nimmt die Zahl der Langzeitüberlebenden nach einer Krebserkrankung stetig zu (vgl. Krebs in Deutschland für 2015 / 2016). Damit gewinnen mögliche Langzeit- und Spätfolgen der Erkrankung oder auch der Therapie an Bedeutung. Dazu zählen sowohl körperliche als auch psychische und psychosoziale Beeinträchtigungen.  Die onkologische Reha enthält daher einerseits Behandlungselemente, die auf den Körper und seine Funktionalität ausgerichtet sind. Andererseits spielen die klinische Sozialarbeit und Psychologie sowie Ergo- und Arbeitstherapie eine große Rolle. Im Rahmen der Gesundheitsbildung sowie der Patientenschulung geht es darum, das Krankheits- und Behandlungswissen der Patienten zu erweitern, die Krankheitsbewältigung zu unterstützen und die Motivation zu fördern.

Inanspruchnahme der onkologischen Rehabilitation

Nicht alle Krebserkrankten, die Anspruch auf eine onkologische Rehabilitation hätten, nehmen dies auch in Anspruch. Eine Analyse von Nowossadeck und Barnes (2016) deckt Diskrepanzen zwischen jährlichen Neuerkrankungen und durchgeführten Reha- Leistungen in der Onkologie auf: Die Inanspruchnahme wird je nach Krebsart auf 48% bis 83 % geschätzt.  Zwischen den Geschlechtern bestehen hier große Unterschiede (vgl. Abb. 1-Abb.3).

Patientinnen und Patienten begründen die Entscheidung für eine Reha zumeist mit der Schwere der Erkrankung und dem gesundheitlichen Belastungsempfinden. Bei Nicht- Inanspruchnahme werden familiäre, persönliche oder private Motive am häufigsten angeführt (Deck et al. 2019).

Biologische / körperliche Ansatzpunkte der medizinischen Reha

In der Reha setzen insbesondere Sport- und Bewegungstherapie, aber auch funktionelle, physikalische sowie Physiotherapien auf der körperlichen Ebene an. Für den Aufbau von Muskulatur und Körperreserven wird zudem ein besonderes Augenmerk auf die Ernährungsberatung bzw. -betreuung gerichtet, da viele Krebserkrankte eine tumor- oder therapiebedingte Mangelernährung aufweisen (Ahrends et al., 2015).
Ausdauer- und Krafttraining führen bei bestimmten Krebsformen nicht nur zu positiven Veränderungen auf physiologischer, sondern auch auf psychologischer und sozialer Ebene (Zimmer et al., 2015; Deprins et al., 2019). Vielfach belegt ist die stressreduzierende Wirkung von sportlicher Aktivität. Der Time-Out-Effekt des Sports dient der Ressourcenstärkung. Aktivitäten, die an die aktuelle Leistungsfähigkeit angepasst sind, können die belastenden Nebenwirkungen der begleitenden Therapien reduzieren. Neben den erwarteten positiven Effekten auf die körperliche Fitness und Kondition kann das Training auch eine stimmungsaufhellende Wirkung haben, die chronische Erschöpfung (Fatigue-Symptomatik) mindern sowie die Lebensqualität der Menschen mit Krebserkrankungen verbessern. Erkrankungsrezidive können möglicherweise in ihrem Auftreten verzögert werden (Zopf et al., 2014; Hallek, 2018).

Psychische Begleiterkrankungen und Behandlungsangebote

Viele RehabilitandInnen in der Onkologie weisen psychische Beeinträchtigungen auf. Sie sind auch einem erhöhten Risiko ausgesetzt, innerhalb eines zwölfmonatigen Zeitraums eine psychische Störung zu entwickeln. Die Prävalenz beträgt hier rund 39 % (Singer, 2017) im Gegensatz zu 28 % in der Allgemeinbevölkerung (Jacobi et al., 2014). Personen, die eine intensivierte psychoonkologische Betreuung im Gegensatz zu einer standardisierten onkologischen Rehabilitation durchlaufen, zeigen geringere Ausprägungen von Angst und Depressionen auf (Seifart et al., 2016a). Zwar gibt es in der Rehabilitation oft eine hohe Bereitschaft, im Anschluss psychologische oder psychotherapeutische Unterstützungsangebote zu nutzen (79 %), dies lässt sich jedoch postrehabilitativ nicht in ein hohes Inanspruchnahmeverhalten (26 %) übersetzen (Jahed et al. 2013).

Soziale bzw. sozioökonomische Zusammenhänge

Eine Krebserkrankung kann Auswirkungen auf die Rückkehr in den Beruf als wichtigen sozioökonomischen Faktor im Leben der Betroffenen haben. Nicht nur Langzeitüberlebende einer Krebserkrankung stehen oft vor finanziellen Herausforderungen, sondern auch ihre Angehörigen, weil sie z.B. den zeitlichen Umfang ihrer Berufstätigkeit auf Kosten des Einkommens anpassen (Seifart et al., 2016b). Mehr als 13 % der Überlebenden beziehen eine Erwerbsminderungsrente (DRV, 2019).
Rund zwei Drittel aller Berufstätigen, die an Krebs erkranken, arbeiten nach einiger Zeit wieder im bisherigen oder in einem neuen Beruf (Mehnert, 2011, zit. nach DGHO, 2019). Das Alter, das Geschlecht und die Art der Krebserkrankung sind dabei wichtige Einflussfaktoren auf den „return to work“. Auch sozioökonomische Faktoren im Vorfeld der Krebserkrankung können sich hier auswirken: Ein niedriger Ausbildungsstand, eine manuelle (im Vergleich zur Büro-) Tätigkeit sowie ein bisheriges niedriges Einkommen erhöhen z.B. das Risiko für fehlende Erwerbstätigkeit und Arbeitslosigkeit nach einer Krebserkrankung (Carlsen et al., 2008). Die medizinische Reha ist hier ein wichtiger Meilenstein nach einer Krebserkrankung, um sich auf die Rückkehr in den Beruf vorzubereiten.

Literaturquellen

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Carlsen, K., Oksbjerg Dalton, S., Frederiksen, K., Diderichsen, F., & Johansen, C. (2008). Cancer and the risk for taking early retirement pension: a Danish cohort study. Scandinavian journal of public health, 36(2), 117-125.

Deck, R., Babaev, V., & Katalinic, A. (2019). Gründe für die Nichtinanspruchnahme einer onkologischen Rehabilitation. Ergebnisse einer schriftlichen Befragung von Patienten aus onkologischen Versorgungszentren. Die Rehabilitation, 58(04), 243-252.

Deprins, J., Geidl, W., Streber, R., Pfeifer, K., & Sudeck, G. (2019). Konzeptionelle Grundlagen der Bewegungstherapie in der medizinischen Rehabilitation: Ergebnisse einer bundesweiten Bestandsaufnahme. Die Rehabilitation, 58(06), 366-375.

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Hallek M. Körperliche Aktivität und Tumorerkrankungen. In: Blum H, Müller-Wieland D, Hrsg. Klinische Pathophysiologie. 10., vollständig überarbeitete und erweiterte Auflage. Thieme; 2018.

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Jahed, J., Bengel, J., & Baumeister, H. (2013). Inanspruchnahmebereitschaft und Inanspruchnahmeverhalten von Behandlungen aufgrund psychischer Belastungen bei Patienten der somatischen Rehabilitation. Die Rehabilitation, 52(01), 2-9.

Mehnert (2011) zit. nach DGHO (2019):  Finanzielle und soziale Folgen der Krebserkrankung für junge Menschen. Gesundheitspolitische Schriftenreihe der DGHO Band 16. Deutsche Gesellschaft für Hämatologie und Medizinische Onkologie e. V., Berlin

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Seifart U, Müller I, Becker F (2016a) Langfristige Verbesserung von Angst und Depression bei Krebspatienten durch eine intensiverte psychoonkologische Betreuung (IPO) GMS Onkol Rehabil Sozialmed.2016;5:Doc07. DOI: 10.3205/ors000029

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Zimmer, P., Borowik, S., Bloch, W., Giesen, A., Gerland, L., Schenk, A., ... & Baumann, F. T. (2015). Krafttraining gleich Krafttraining? Neue Erkenntnisse für die onkologische Trainingstherapie. Deutsche Zeitschrift für Onkologie, 47(02), 70-74.

Zopf, Baumann, Pfeifer (2014) Körperliche Aktivität und körperliches Training in der Rehabilitation einer Krebserkrankung. Rehabilitation 2014; 53: 2–7. DOI dx.doi.org/10.1055/s-0033-1334916