Eingliederungshilfe und Pflege – eine Schnittstelle von entscheidender Bedeutung

Menschen mit Behinderungen, die Leistungen der Eingliederungshilfe erhalten, sind häufig zusätzlich pflegebedürftig – daher ist für sie die Schnittstelle zwischen der Eingliederungshilfe und der Pflegeversicherung (SGB XI) von zentraler Bedeutung. Dieser Beitrag beschreibt die Veränderungen durch das BTHG und bewertet sie aus der Perspektive der Bundesvereinigung Lebenshilfe, der größten Eltern- und Selbsthilfeorganisation für Menschen mit sog. geistiger Behinderung.

Grundsätzlich erhalten Versicherte Leistungen gemäß ihres Pflegegrades für stationäre Pflege, wenn sie in stationären Pflegeeinrichtungen leben oder für ambulante Pflege, wenn sie nicht in Einrichtungen leben. Für ebenfalls in der Pflegeversicherung versicherte Menschen mit Behinderung, die in stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe leben, gilt allerdings eine Ausnahme: Leistungen aus der Pflegeversicherung an Menschen mit Behinderungen in stationären Einrichtungen der Behindertenhilfe werden unabhängig vom Pflegegrad auf eine Pauschale von 266 Euro begrenzt (§ 43a SGB XI), die weder dem Leistungsumfang stationärer noch ambulanter Pflegeleistungen entspricht. Daher wird seit langem gefordert, diese Ungleichbehandlung zu beenden und den § 43a SGB XI abzuschaffen.
Ein wichtiges Anliegen des BTHG war, „Leistungen, wie aus einer Hand“ zu ermögliermöglichen. Dies führte zu zahlreichen Änderungen im allgemeinen Teil des SGB IX. Auch schlug sich dies in Neuerungen zum parallelen Leistungsbezug (Leistungen von verschiedenen Trägern) nieder. Menschen, die eine Behinderung haben und einen Pflegebedarf aufweisen, können auch nach der Reform die Leistungen der Eingliederungshilfe und der Pflegeversicherung nebeneinander in Anspruch nehmen (§ 13 Abs. 3 SGB XI). Dies begründet der zuständige Bundestagsausschuss richtigerweise damit, dass Pflege und Eingliederungshilfe auch nach Einführung des neuen Pflegebedürftigkeitsbegriffs unterschiedliche Aufgaben haben. Mit dem BTHG wurden die Koordinierungsregeln neu gefasst und konkretisiert, was vor Ort dazu führt, dass die parallele Leistungsgewährung teilweise in Frage gestellt wird. Eine endgültige Beurteilung wird allerdings erst möglich sein, wenn das BTHG mit flächendeckender Anwendung der umfassenden Bedarfsermittlung systematisch umgesetzt ist.
Das BTHG vollzieht darüber hinaus mit der Umsetzung der Personenzentrierung einen umfassenden Wandel im Bereich der stationären Einrichtungen in der Behindertenhilfe. Nun werden die Leistungen in gemeinschaftlichen Wohnformen getrennt, um die Gleichstellung zu Menschen ohne Behinderungen zu erreichen. Zukünftig werden keine  Tagessätze mehr vereinbart, sondern jede*r Bewohner*in erhält nach einer umfassenden Bedarfserhebung personalisierte Leistungen, während die Leistungen zum  Lebensunterhalt über Regelbedarf und Kosten der Unterkunft gedeckt werden. Eine logische Folge dieses Schrittes wäre gewesen, dass Menschen mit Behinderungen nun die  gleichen Leistungen aus der Pflegeversicherung erhalten wie Menschen ohne Beeinträchtigungen. Der bisher bestehende Leistungsausschluss wird allerdings beibebeibehalten und die Berechtigung auf Leistungen aus dem SGB XI weiterhin an die Wohnform geknüpft: Vormals stationäre Wohnformen werden nun als Räumlichkeiten definiert (§43a i.V.m.  § 71 Abs. 4 SGB XI). Daneben umfasst diese Regelung als Erweiterung ab 2020 einzelne ambulante Wohnformen, die eine vergleichbar umfassende pflegerische Betreuung  sicherstellen sowie dem Wohn- und Betreuungsvertragsgesetz unterliegen.
Menschen mit Behinderung und Pflegebedarf sind für ihre gleichberechtigte und umfassende Teilhabe auf die Deckung ihres Pflegebedarfes angewiesen. Die Fortgeltung und Erweiterung des Leistungsausschlusses für Menschen mit Behinderungen in gemeinschaftlichen Wohnformen widerspricht hier dem Grundgedanken des BTHG. Daher ist für eine wirklich personenorientierte Bedarfsdeckung und die Gleichbehandlung der Versicherten die Aufhebung des § 43a SGB XI dringend erforderlich.