Was geht ambulant? Meinungen aus der Praxis

Deutlich wird, dass die zunehmende Berücksichtigung individueller Lebensbedingungen und -gewohnheiten, also ein personenzentierter Ansatz, nur mit einer Stärkung ambulant ausgestalteter Teilhabeleistungen gelingen kann. Dieter Schartmann und Jörg Bungart berichten, wie Selbstbestimmung und individuelle Lebensführung mit ambulanter Unterstützung in Alltag und Beruf gelingen kann. Carsten Trimpop beschreibt die Herausforderungen und Chancen, die er persönlich mit seinem Wechsel in ein selbständiges Leben erfahren hat.

Carsten Trimpop

Ich hatte Angst, dass ich zu wenig Assistenz für das selbständige Leben in einer Wohnung habe. Aber das Zentrum für selbstbestimmtes Leben behinderter Menschen in Mainz (ZsL) hat mich von Anfang an unterstützt, zunächst bei der Wohnungssuche. Ich bekam außerdem Unterstützung bei der Beantragung des Persönlichen Budgets: Dazu gehörten gemeinsame Termine bei der Kreisverwaltung, um den Teilhabeplan für mich zu erstellen, die Formulierung der Zielvereinbarung und die Anträge zu stellen. Das ZsL hat mir auch bei der Assistenzsuche Carsten Trimpop, Budgetnehmer geholfen: Die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben gemeinsam mit mir Stellenanzeigen aufgegeben, sie haben mich bei Bewerbungsgesprächen begleitet (nur im ersten halben Jahr) und mich bei der Formulierung von Arbeitsverträgen ebenso wie bei der Anmeldung bei Krankenkassen unterstützt. Auch die Lohnabrechnung meiner Assistenten läuft über das ZsL. Ein großer Vorteil ist, dass ich mich nicht ständig mit anderen abstimmen muss und dass ich jetzt meine Entscheidungen selbst treffen kann. Ein weiterer Vorteil ist, dass ich meine Assistentinnen und Assistenten selbst aussuche und selbstständig organisiere, in welchen Zeiträumen ich Unterstützung benötige. Außerdem kann ich meinen Urlaub planen, wie ich möchte. Durch das Assistenzmodell kann ich deutlich häufiger meinen Hobbys nachgehen, zum Beispiel zum Fußball gehen oder eine Sportart ausüben (Boccia). Es ist ein großer Vorteil, dass ich bei Bedarf immer Unterstützung habe und nicht mehr nachfragen muss, ob jemand Zeit für mich hat. Das gilt auch für die Vereinbarung von Arztterminen. Als Herausforderung sehe ich die gesamten Formalitäten an, zum Beispiel Anträge stellen und den Briefwechsel mit Ämtern und Krankenkassen, ebenso die Lohnabrechnung und Verträge. Bei all diesen Dingen hilft mir das ZsL. Eine weitere Herausforderung ist für mich die Beendigung eines Arbeitsverhältnisses. Diese Gespräche führe ich persönlich, aber sie fallen mir immer noch schwer. Hilfreich sind natürlich alle meine Assistentinnen und Assistenten und meine Freundin, die mir bei allen Schwierigkeiten auch zur Seite steht.

Dr. Dieter Schartmann

Als überörtlicher Träger der Sozialhilfe liegen unsere Aufgabenschwerpunkte bei Leistungen zur Teilhabe am Leben in der Gemeinschaft und zur Teilhabe am Arbeitsleben. Wir unterstützen Menschen mit Behinderungen, ein möglichst selbstbestimmtes Leben in ihrem Sozialraum zu führen und eine ihren Neigungen und Fähigkeiten entsprechende Tätigkeit zu finden. Das selbstständige Wohnen in der eigenen Häuslichkeit mit ambulanter Unterstützung bietet ein Höchstmaß an individueller Lebensführung und Selbstbestimmung. Die erforderliche Unterstützung kann individuell und flexibel auf die eigenen Bedarfe angepasst werden. Zahlreiche Beispiele zeigen, dass diese Möglichkeiten auch für Menschen mit komplexer Behinderung genutzt werden können. Eine den Fähigkeiten angepasste Tätigkeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt (ggf. mit entsprechender personeller, technischer oder finanzieller Unterstützung) entspricht den Kernforderungen der UN-Behindertenrechtskonvention, nämlich in einem offenen, integrativen und zugänglichen Arbeitsmarkt seinen eigenen Lebensunterhalt verdienen zu können. Wir brauchen vor allem bezahlbaren Wohnraum – und wir benötigen in der Gesellschaft das Verständnis, dass die Herstellung inklusiver Lebensverhältnisse eine gesamtgesellschaftliche Aufgabe ist. Für die Teilhabe am Arbeitsleben werden Arbeitgeber gesucht, die offen sind für Menschen auch mit schwereren Behinderungen. Und der Übergang aus einer Werkstatt für Menschen mit Behinderungen in den allgemeinen Arbeitsmarkt könnte oftmals geschmeidiger organisiert werden. Ich hoffe, dass die mit dem geplanten Bundesteilhabegesetz vorgesehenen Veränderungen, wie z. B. das Budget für Arbeit und die Weiterentwicklung der Personenzentrierung in der Eingliederungshilfe, offensiv aufgenommen und umgesetzt werden.

Jörg Bungart

Eine ambulante berufliche Rehabilitation und Teilhabe, wie nach dem Konzept Unterstützte Beschäftigung1, meint die betriebliche Vorbereitung, Qualifizierung, Weiterbildung und Berufsbegleitung zur Erlangung und zum Erhalt von bezahlter Arbeit auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt. Die Vorteile sind naheliegend. Erst im Betrieb selbst kann ein passgenauer Arbeitsplatz, also eine gegenseitige Anpassung betrieblicher Anforderungen und persönlicher Fähigkeiten mit allen Beteiligten gemeinsam entwickelt werden. Eine spätere, oftmals schwierige Transferleistung von überbetrieblich gelernten Kompetenzen in den Betriebsalltag entfällt. Der betriebliche Passungsprozess wird durch einen spezialisierten Fachdienst oder Job Coach begleitet und unterstützt. Dies entlastet sowohl den Betrieb als auch den Menschen mit Behinderungen, da auftretende Fragen, aktuelle Qualifizierungsbedarfe sowie arbeitserhaltende Maßnahmen direkt aufgegriffen werden können. Vorauszusetzen ist, dass alle Akteure schnell und zuverlässig miteinander in Kontakt treten. Das Prinzip und Beispiele der betrieblichen Rehabilitation und Teilhabe finden sich mittlerweile in vielen Fachdiensten und Bereichen: Integrationsfachdienste, Arbeitsassistenz, Unterstützte Beschäftigung nach § 38a SGB IX, Übergang Schule-Beruf, Übergang WfbM auf den allgemeinen Arbeitsmarkt sowie betriebliche Ausbildungs- und Umschulungskonzepte etc. Manche Leistungsträger nutzen betriebliche Teilhabeangebote noch zu wenig, da sie traditionell bedingt eher mit überbetrieblichen Angeboten verankert sind. Zudem sind die Vorteile betrieblicher Rehabilitation mit ihrem personenzentrierten Ansatz möglicherweise noch zu wenig bekannt. Hier sind mehr Information und Aufklärung erforderlich. Hinzu kommt die Praxis öffentlicher Ausschreibung, die die Vergabe betrieblicher Leistungen aufwendig macht und die Qualität durch Niedrigangebote gefährdet. Der Fach- und Umsetzungsqualität muss in zukünftigen Vergabeverfahren Priorität vor dem Angebotspreis eingeräumt werden.

 

1 Die Maßnahme „Unterstützte Beschäftigung“ nach § 38a SGB IX ist nur ein Teil des Konzepts UB.