Fünf Fragen an Jürgen Ritter, DRV Bund

Jürgen Ritter ist Fachbereichsleiter für Grundsatz, Geschäfts- und IT-Prozesse in der Abteilung Rehabilitation bei der Deutschen Rentenversicherung Bund (DRV Bund) in Berlin. In seinen Aufgabenbereich fällt u.a. die Begleitung der Umsetzung des BTHG (Bundesteilhabegesetzes).

Herr Ritter, wo sehen Sie momentan die größten Herausforderungen bei der Umsetzung des Bundesteilhabegesetzes bei einem bundesweit zuständigen Reha-Träger?

Behinderte oder von einer Behinderung bedrohte Menschen sollen Leistungen zur Teilhabe nach dem Willen des Gesetzgebers „wie aus einer Hand“ erhalten. Um dies auch dann zu gewährleisten, wenn unterschiedliche Rehabilitationsträger für die Erbringung von Teilhabeleistungen zuständig sind, hat der Gesetzgeber das Verfahrensrecht im SGB IX grundlegend reformiert. Es ist nun vorgesehen, dass in komplexen Leistungsfällen ein Rehabilitationsträger die Verantwortung für die Koordinierung und Steuerung des gesamten Verfahrens trägt. Dieser so genannte leistende Träger muss, wenn neben seinen Teilhabeleistungen noch weitere Leistungen erforderlich sind, die anderen Träger in den Prozess einbinden, Stellungnahmen anfordern, Rückmeldungen an die Beteiligten geben, einen Teilhabeplan erstellen und dessen Umsetzung koordinieren und überwachen. Für die einzelnen Schritte sieht das Gesetz sehr enge Fristen vor. Damit dies funktioniert, müssen Prozesse und Schnittstellen zu weiteren Reha-Trägern definiert werden. Für uns als bundesweit tätiger Träger besteht die besondere Herausforderung darin, dass wir hier auf die jeweiligen organisatorischen Gegebenheiten in den einzelnen Bundesländern und Regionen reagieren müssen. Beispielsweise gibt es Bundesländer, in denen die Fachausschüsse noch tagen, in anderen Bundesländern ist dies nicht mehr der Fall. Diese jeweiligen Gegebenheiten müssen bei der Gestaltung von Prozessen und bei der Bearbeitung der Reha-Anträge berücksichtigt werden, was eine sehr große Herausforderung darstellt.

Die DRV Bund 2017 in Zahlen

Im abgelaufenen Geschäftsjahr gingen allein bei der DRV Bund über 700.000 Anträge auf eine medizinische Rehabilitation ein. Darüber hinaus wurden beim Bundesträger knapp 140.000 Anträge auf Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben gestellt.

Was sind erste Erfahrungen aus Ihrer Organisation, die Sie anderen Trägern mit auf den Weg geben können? Was läuft schon gut? Wo gibt es noch Handlungsbedarf? Wie kann es gelingen, die Änderungen durch das BTHG gut in einer Organisation zu implementieren und an welche Zeiträume denken Sie bei solchen Veränderungen?

Bereits sehr früh hat sich für uns die Frage gestellt, wie wir die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter an dem Prozess zur Umsetzung des neuen Rechts beteiligen können. Wir haben deshalb Informationsveranstaltungen durchgeführt und ein Umsetzungsprojekt initiiert, in welchem sowohl die Grundsatzbereiche, die für die rechtlichen Arbeitsanweisungen und Geschäftsprozesse zuständig sind, als auch Praktiker aus der Sachbearbeitung vertreten sind. Sowohl die frühzeitige Information als auch die Einbindung der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter haben dafür gesorgt, dass Ängste und Befürchtungen abgebaut werden konnten. Gleichzeitig bot dieses Vorgehen die Chance, Impulse und Ideen aus der Praxis für den Umsetzungsprozess nutzbar zu machen. Auch für mich als Mitglied der BAR-Fachgruppe, die sich mit der Vorbereitung der Gemeinsamen Empfehlung „Reha-Prozess“ befasst hat, war diese Zuarbeit aus der Praxis von enormer Wichtigkeit. Die größte Herausforderung bestand aber darin, der Sachbearbeitung passgenaue Arbeitsmaterialien zur Verfügung zu stellen und die IT-Technik für die neuen Geschäftsprozesse „fit“ zu machen. Ich sehe die Umsetzung des BTHG als einen dynamischen Veränderungsprozess, der noch einige Zeit braucht. Vor allem deshalb, weil sich auf Ebene der Länder die Träger der Eingliederungshilfe noch konstituieren müssen und erst dann begonnen werden kann, die losen Enden der geregelten Prozesse auf die Träger der Eingliederungshilfe hin auszurichten.

Mit dem neuen Teil 1 des Gesetzbuches fokussiert der Gesetzgeber noch stärker als bisher die Zusammenarbeit der Reha-Träger. Was bedeutet das für die Praxis, für die Mitarbeiter und deren Qualifikation, damit Versicherte „Leistungen wie aus einer Hand“ erhalten?

Wie bereits gesagt: Die koordinierende Zusammenarbeit der Träger untereinander ist die größte Herausforderung des BTHG. In Umsetzung des neuen Verfahrensrechts müssen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter aller Träger noch stärker als bisher über ihre eigene Zuständigkeit hinaus schauen, um Rehabilitationsprozesse trägerübergreifend planen und gestalten zu können. Rehabilitationsbedarfe müssen trägerübergreifend und umfassend identifiziert und Prozesse in Zusammenarbeit mit externen Akteuren gesteuert werden. Gleichzeitig müssen die betroffenen Menschen in den Rehabilitationsprozess eingebunden und bei Bedarf Teilhabeplankonferenzen organisiert werden. Dies erfordert eine entsprechende Qualifikation durch passgenaue Maßnahmen. Die Qualität der Sachbearbeitung muss und wird sich hierdurch grundlegend ändern. Dies stellt in jeder Hinsicht hohe Anforderungen an die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Welchen Stellenwert hat für die Rentenversicherung die Beratung von Menschen mit Behinderung und deren Arbeitgeber? Wie werden sich die Beratungsbedarfe aus Ihrer Sicht in den nächsten Jahren entwickeln und welche Angebote wird es dazu brauchen?

Für uns ist es wichtig, Menschen mit Behinderung dort abzuholen, wo sie leben und arbeiten. Um dieses Ziel zu erreichen, verfügt die Deutsche Rentenversicherung über ein flächendeckendes Netz von Auskunfts- und Beratungsstellen. Dort werden Versicherte zu allen Fragen der Rentenversicherung beraten und z.B. bei der Antragstellung unterstützt. Geht es speziell um Fragen der Rehabilitation und Teilhabe, können sich die Betroffenen an unsere Reha-Berater wenden, die für unsere Versicherten jederzeit und in der Regel wohnortnah ansprechbar sind. Für die Arbeitgeber ist der Firmenservice der Deutschen Rentenversicherung als spezifisches Beratungs- und Unterstützungsangebot zum Beispiel beim Betrieblichen Eingliederungsmanagement geschaffen worden. Bei Bedarf berät und unterstützt der Firmenservice auch vor Ort in den Betrieben und Unternehmen. Auch bieten wir umfangreiche Beratungsangebote über das Internet an. Hier besteht voraussichtlich das höchste Potential für Weiterentwicklungen. Unterstützende Hilfen für Menschen mit Behinderungen sollten im Internet niederschwellig verfügbar sein und sofort Wege in die Reha aufzeigen.

Welche Rolle werden dabei die Ansprechstellen nach § 12 SGB IX einnehmen können? Sehen Sie eine Möglichkeit die Zusammenarbeit der Reha-Träger dadurch zu stärken?

Die Ansprechstellen werden eine zentrale Rolle bei der vernetzten Zusammenarbeit der Rehabilitationsträger einnehmen müssen. Wir haben uns als Bundesträger in einem ersten Schritt dafür entschieden, im Internet auf das vorhandene Informations- und Beratungsangebot der DRV sowie auf Ansprechstellen einzelner Rentenversicherungsträger hinzuweisen. Dies schafft Transparenz zu den vorhandenen Leistungsund Beratungsangeboten. Was wir aber brauchen, ist ein zentrales Verzeichnis der Ansprechstellen aller Träger. Denn nur so können die oben beschriebenen trägerübergreifenden Abstimmungsprozesse reibungslos funktionieren und Schnittstellen im gegliederten System abgebaut werden.