BAR-Fachgespräch 2023: "Teilhabe: Recht trifft Praxis"

Für ein besseres Miteinander

Zwei Tage, drei Dialogwerkstätten, acht Arbeitsgruppen, sechs Diskussionsrunden, vier Vorträge und mehr als 90 Teilnehmende: Das war das BAR-Fachgespräch 2023 in Kassel in dem sich alles um das Thema "Teilhabe: Recht trifft Praxis" drehte. Zum ersten Mal seit der Corona-Pandemie fand das Veranstaltungsformat "A trifft B" wieder statt, das einen breiten Austausch über den eigenen "Tellerrand" hinweg ermöglicht. Auch diesmal war der Teilnehmerkreis gut durchgemischt: Vertretungen aus Rechtswissenschaft und Fachpolitik, Führungs- und Fachkräfte von Reha-Trägern und Leistungserbringern, Mitarbeitende von EUTBs® und Menschen mit Beeinträchtigungen diskutierten wie das Miteinander von Recht und Praxis besser gelingen kann.

 

Nach der Begrüßung durch den BAR-Vorstandsvorsitzenden Markus Hofmann eröffnete Staatssekretär Dr. Rolf Schmachtenberg (BMAS) den fachlichen Austausch mit einer Standortbestimmung: Das SGB IX sei ein geeigneter Rechtsrahmen, wenn die darin enthaltenen Optionen gut angewandt werden. Doch es gäbe noch viel zu tun, insbesondere wenn es um "Leistungen wie aus einer Hand" und "Personenzentrierung" geht. Dabei hielt Schmachtenberg fest: "Es besteht ein großer Unterschied darin, tiefgreifende Veränderungen einzufordern und sie dann auch praktisch umzusetzen. Das verlangt von allen dreien viel: Den Betroffenen, den Leistungserbringern und den Leistungsträgern. Denn sie müssen Vertrautes aufgeben und sich neue Fertigkeiten und Kompetenzen aneignen." Die BAR habe hierbei die wichtige Rolle, durch ihre Koordinationsfunktion alle Beteiligten zur Kooperation zusammenzubringen. (Den ganzen Vortrag lesen Sie hier...)

Herausforderungen und Chancen der Zusammenarbeit

Prof. Dr. Felix Welti von der Universität Kassel und Bernd Giraud, Fachbereichsleiter Programme und Produkte und Vertreter der Geschäftsführerin der BAR, skizzierten in ihrem Fachvortrag "Mensch im Mittelpunkt" die Herausforderungen und Chancen, wenn Recht und Praxis der trägerübergreifenden Rehabilitation besser miteinander abgestimmt werden und ineinandergreifen sollen. Welti dazu: "Sollen und Sein, Norm und Wirklichkeit, Theorie und Praxis zu trennen, hat im Reich der Ideen einen guten Sinn. Der Mensch im Mittelpunkt tut jedoch gut daran, zu reflektieren, dass die Normen Menschenwerk sind. Normen zu formulieren und zu setzen ist ebenso menschliche Praxis wie sie anzuwenden und durchzusetzen." (Den ganzen Beitrag von Prof. Dr. Welti lesen Sie hier...)

Giraud zeigte anschließend auf, wie wichtig konkrete Projekte für die Verbindung von Recht und Praxis sind: "Im Recht der Reha und Teilhabe kann der Gemeinsame Grundantrag die Lücke schließen, von der der Gesetzgeber immer stillschweigend annehmen wollte, dass es sie nicht gibt. Denn bisher gab es nicht den einen Reha-Antrag für Alles. Sie können einzelne Leistungen beantragen, bei einzelnen Trägern, inzwischen zum Teil auch digital. Was jetzt aber dazu kommen soll, ist die Möglichkeit nur einen Antrag stellen zu müssen […] Mit Angaben zu Ihrer Person, Ihren Bedarfen und wenigen Ergänzungen, aus denen sich eine voraussichtliche Zuständigkeit ergibt." (Den ganzen Vortrag von Herrn Giraud lesen Sie hier...)

Dialog-Werkstätten als "Brückenbauer"

In den drei Dialogwerkstätten diskutierten die Teilnehmenden anschließend unter dem Motto "Holzsteg oder Golden Gate? Brückenschläge zwischen Teilhaberecht und Reha-Praxis" in acht Arbeitsgruppen zu unterschiedlichen Themengebieten wie

  • "Vermittlung von Recht in die Fachpraxis",
  • "Peer-Prinzip und Partizipation",
  • "Widersprüche bei der Rechtsetzung und ihre Wirkungen",
  • "Beratung und leichte Sprache" sowie
  • "Navigationshilfen".

Der rege Austausch setzte sich auch in der Diskussionsrunde "Ufer in Sicht?" zum Abschluss des ersten Tages zwischen Dr. Nicole Cujai (Geschäftsführerin Arbeitsmarkt der BA), Brigitte Gross (Direktorin der DRV Bund), Takis Mehmet Ali (SPD-Bundestagsfraktion, Beauftragter für die Belange von Menschen mit Behinderungen) und Prof. Dr. Katja Nebe (Universität Halle-Wittenberg) fort.

Cujai stellte klar, dass die Veränderungsprozesse in Verwaltungen und Behörden durch Führungskräfte verantwortet werden müssen, die dafür sorgen, "zwischen Anspruch und Wirklichkeit voranzukommen". Gross meinte, die Träger bräuchten Zeit, das BTHG habe einen Paradigmenwechsel eingeläutet. In jedem Gesetzgebungsverfahren solle mitbedacht werden, was es für die Umsetzung braucht und was Verwaltungen leisten können. Nebe wies auf die unterschiedlichen Zeitwahrnehmungen von Beteiligten hin: Zehn oder 20 Jahre seien für Menschen mit Behinderungen eine lange Zeit. Für Reha-Träger, bei denen sich eingeschliffene Abläufe ändern müssen, sei es hingegen ein kurzer Zeitraum. Ali betonte, wie wichtig die Bedarfsermittlung sei, um zu passgenauen Leistungen für Menschen mit Behinderungen zu kommen. Nur so könne die Individualisierung von Leistungen gelingen.

 

2. Tag: Ergebnisse der Dialogwerkstätten und gemeinsame Diskussion

Am zweiten Tag des Fachgesprächs wurden die Ergebnisse aus den Dialogwerkstätten zusammengetragen und mit dem gesamten Plenum intensiv diskutiert. Dabei bildeten sich wiederkehrende Impulse heraus, die als "Bausteine" für "bessere Brücken" zwischen Recht und Praxis gesehen werden können.

Dazu gehören unter anderem:

  • Haltung: Teilhabe ermöglichen ist eine Frage der Haltung. Dies müsse von allen Reha-Fachkräften verinnerlicht werden, um Leistungsberechtigten auf Augenhöhe zu begegnen.
  • Wissensvermittlung: Reha-Fachkräfte müssen sich im gesamten Reha- und Teilhabesystem orientieren können. Trägerübergreifende Aus- und Weiterbildungen sind deswegen elementar.
  • Partizipation: Menschen mit Behinderung haben ein Recht auf Mitbestimmung und Mitgestaltung
  • Verständlichkeit: Eine klare, gemeinsame Sprache, Praxisbeispiele und Navigationstools können helfen, Recht verständlich und besser umsetzbar zu machen.
  • Beratung: Gute Beratung ist zentral, um Menschen mit Behinderungen zu ihrem Recht zu verhelfen. Leichte Sprache ist dabei ein wichtiges Instrument.
  • Peer-Ausbilder:innen: Schulungen und Ausbildungen für Reha-Fachkräfte durch Expert:innen in eigener Sache sollen helfen, die Situation von Menschen mit Behinderungen besser nachzuvollziehen.

In der Abschlussrunde zogen Gülcan Miyanyedi, Geschäftsführerin der BAR, Dr. Andreas Jürgens, Erster Beigeordneter des LWV Hessen und Wolfgang Eicher, Vorsitzender Richter am BSG i. R., Bilanz zu den Dialogwerkstätten und dem Fachgespräch insgesamt. Auf die Frage der Moderatorin Dr. Julia Kropf, was man vielleicht verlernen müsse, um Neues lernen zu können, brachte Miyanyedi auf den Punkt: „Erst wenn Reha-Träger vergessen in Zuständigkeiten zu denken, kommen wir zu Leistungen aus einer Hand, zu einer neuen Haltung und zu besserer Rehabilitation und mehr Teilhabe.“  

Dr. Susanne Wagenmann, alternierende Vorstandsvorsitzende der BAR, hatte das Schlusswort: „Das Labyrinth der rechtlichen Zuständigkeiten und Verfahren hat sich vielleicht noch nicht aufgelöst. Allerdings wurden Probleme angesprochen und bewegt, die dazu beitragen, den weiteren Weg besser auszuleuchten. Es gilt, diese Impulse in Ihre tägliche Arbeit mitzunehmen.“ Sie bedankte sich bei allen Mitwirkenden und verabschiedete die Teilnehmenden mit dem Hinweis auf das nächste Fachgespräch, das 2024 unter dem Motto „Reha trifft Pflege“ stattfinden wird.

Die Reha-Info hat eine eigene Ausgabe zum Thema "Teilhabe-Recht trifft Reha-Praxis" veröffentlicht mit weiteren Artikeln und Statements.