Aus der Forschung – Erprobung von Neuregelungen in der Eingliederungshilfe

Mit der Herauslösung der Eingliederungshilfe aus der Sozialhilfe zum 1.1.2020 stellen sich den Verwaltungen zahlreiche praktische Fragen. Die gesetzlich hinterlegte modellhafte Erprobung von sieben Neuregelungen soll Antworten geben.

Aktuell laufen 29 „Modellprojekte“ bei 21 örtlichen und 8 überörtlichen Trägern der Eingliederungshilfe in fast allen Bundesländern. Die Gesellschaft für soziale  Unternehmensberatung (gsub) mbH begleitet diese Projekte administrativ und organisiert den Austausch untereinander. Eine wissenschaftliche Begleitung wurde gesondert ausgeschrieben und im August 2018 an Kienbaum Consultants International GmbH vergeben. Unterauftragnehmer ist das Institut für angewandte Sozialwissenschaft GmbH (infas).

Neben der Bearbeitung nach bisherigem Recht werden in den Projekten repräsentativ auszuwählende Einzelfälle nach den Regelungen des künftigen Teil 2 SGB IX „virtuell“
bearbeitet. Auch nach deren Inkrafttreten erfassen die Projektträger weitere zwei Jahre entsprechende Daten. Erprobt werden insbesondere Vorschriften, die im  Gesetzgebungsverfahren und durch die Fachöffentlichkeit sehr kontrovers diskutiert wurden (Tab. 1).

                                                         
 Regelungsbereich                                                                                                  Erprobung
in
(n von 29)
Projekten
davon bei örtlichen Trägerndavon bei überörtlichen Trägern
1Einkommens- und Vermögensanrechnung (§§ 135ff SGB IX):
Neuordnung des Eigenbeitrages und Anhebung des Schonvermögens
 15114
2Assistenzleistungen als Leistung der sozialen Teilhabe
(§ 113 Abs. 2 i.V.m. § 78 SGB IX): Explizierung im Leistungskatalog
972
3aRangverhältnis zwischen Leistungen der Eingliederungshilfe und
der Leistungen der Pflege (§ 91 SGB IX und § 103 SGB IX):
neue Zuständigkeitsregelungen
18153
3bUmsetzung der Regelungen für Menschen mit Behinderung und Pflegebedarf972
4

Prüfung der Zumutbarkeit und Angemessenheit (§ 104 SGB IX):
Dem Wunsch- und Wahlrecht steht die Angemessenheitsprüfung durch den Träger gegenüber; Abweichungen vom Wunsch nur bei Zumutbarkeit

14113
5Gemeinschaftliche Leistungserbringung (§ 116 SGB IX): Leistungserbringung für
mehrere Personen, sofern zumutbar und mit Erbringern vereinbart
1073
6Trennung von Fachleistungen der EGH (SGB IX) von existenzsichernden Leistungen
(SGB XII): Hohe Relevanz für stationäre und besondere Wohnformen
18144
7Bezüge zu anderen Leistungen der sozialen Sicherung, die Gegenstand des Gesamtplanverfahrens sind (§ 119 Abs.2 SGB IX): Insbesondere bar ausgezahlter
Anteil der Leistungen zum Lebensunterhalt
11101

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 


Tab. 1: Erprobung verschiedener Neuregelungen der Eingliederungshilfe in Modellprojekten
Quelle: www.gemeinsam-einfach-machen.de > Umsetzung BTHG > Modellhafte Erprobung nach
Art. 25 Abs.3 BTHG > PDF „Übersicht über die Projekte“
(Stand: Juni 2019); eigene Darstellung (erweiterte Fassung)


Besondere Aufmerksamkeit erhält dabei das Verhältnis von EGH und Pflegeversicherung (18 bzw. 9 weitere Erprobungen). Das BTHG sieht vor, deren Gleichrangigkeit beizubehalten, wobei sich die Zuständigkeiten nach der Vorgeschichte und Lebenslage des einzelnen Leistungsberechtigten richten. Neu zu definierende Schnittstellen ergeben sich auch durch die Trennung von Fachleistungen und existenzsichernden Leistungen (18 Erprobungen). Dicht darauf folgt die Einkommens- und Vermögensanrechnung (15 Erprobungen). Einige Projekte überörtlicher Träger zu diesen drei Bereichen werden auf der Website der BAGÜS vorgestellt:
www.bagues.de

Zum Stand und den Ergebnissen der Umsetzungsbegleitung berichtet das BMAS dem Bundestag in den Jahren 2018, 2019 und 2022 (Maßnahmen nach Art. 25 Abs. 2-4 BTHG). Ein erster Zwischenbericht der Firma Kienbaum über die wissenschaftliche Begleitung der modellhaften Erprobung wurde zum Jahreswechsel veröffentlicht (BT-Drs. 19/6929, Anhang 4). Hierin sind die forschungsleitenden Fragen zu den sieben Regelungsbereichen konkretisiert worden. Der zweite Bericht mit Zwischenergebnissen zur Vorab-Erprobung war zum 30. Juni 2019 fällig und wird voraussichtlich Teil der Unterrichtung durch die Bundesregierung zum kommenden Jahreswechsel sein. In den Berichtszeitraum fielen die Voranalyse der Projekte und ihrer Erprobungskonzepte, die Einrichtung eines Online-Tools zur Daten erhebung und eine erste Erhebungswelle in den 29 Projekten. Die Ergebnisse der Untersuchung zum § 99 „Leistungsberechtigter Personenkreis“ (Artikel 25a BTHG) sollten ursprünglich ebenfalls in die modellhafte Erprobung einfließen. Diese Studie kam jedoch zu dem Ergebnis, dass die hier vorgesehen Regelungen nicht geeignet sind, um den Kreis der Leistungsberechtigten in der EGH weder auszuweiten noch einzuschränken. Da dies ein erklärtes Ziel des BTHG ist, hat das BMAS inzwischen einen erneuten Beteiligungsprozess gestartet.

Ein weiteres wesentliches Ziel des Gesetzes ist die Eindämmung der Ausgabendynamik in der EGH. Die Untersuchung der finanziellen Entwicklungen ist in Art. 25 Abs. 4 BTHG angelegt. Die Ergebnisse einer Vorstudie durch das Institut für Sozialforschung und Gesellschaftspolitik GmbH (ISG) sind inzwischen veröffentlicht und die Hauptstudie ist ebenfalls an das ISG vergeben worden. Die Modellhafte Erprobung und die Finanzuntersuchung speisen wiederum die sog. „Wirkungsprognose“ zum BTHG insgesamt (Art. 25 Abs. 2 Satz 1, 2. Halbsatz). Hierzu wurde zunächst eine Machbarkeitsstudie von infas durchgeführt, das auch hier anschließend den Zuschlag für die Hauptuntersuchung erhalten hat. Die drei beauftragten Forschungsinstitute infas, ISG und Kienbaum Consultants stehen somit im regelmäßigen Austausch.

Themenrubrik „Weiterentwicklung und Forschung“
Zu diesem Beitrag über die BTHG-bezogene Forschung finden Sie in der neuen Themenrubrik auf der BAR-Website eine detailliertere Ausführung von Tab. 1. Die Rubrik bietet darüber hinaus eigene statistische Aufbereitungen und Meldungen aus der Forschung zu Rehabilitation und Teilhabe. Sie wird kontinuierlich aufgebaut, aktuell auch mit einem Beitrag zu Präventionsleistungen der Reha-Träger anlässlich des 1. Präventionsberichtes der Nationalen Präventionskonferenz. www.bar-frankfurt.de/forschung