Teilzeitbeschäftigung und Anspruch auf Arbeitsassistenz

Orientierungssätze

Die Ausübung einer Teilzeitbeschäftigung steht dem Anspruch auf Übernahme der Kosten einer notwendigen Arbeitsassistenz nach § 185 Abs. 5 SGB IX für eine daneben ausgeübte selbstständige Erwerbstätigkeit nicht entgegen.

BVerwG, Urteil vom 23.1.2018, Az: 5 C 9/16

Sachverhalt und Entscheidungsgründe

Der Kläger ist wegen Blindheit als schwerbehindert (GdB 100) anerkannt und ist – wohnhaft in Deutschland – seit dem Jahr 2000 Beamter des luxemburgischen Staates. Bis 2013 reduzierte er die Arbeitszeit hierfür schrittweise auf 50 %, um daneben – als Zweittätigkeit – eine von ihm gegründete Firma zu betreiben. Für diese selbstständige Tätigkeit beantragte der Kläger beim Integrationsamt die Übernahme der Kosten für eine selbstständig organisierte Arbeitsassistenz als begleitende Hilfe am Arbeitsleben nach § 102 Abs. 4 SGB IX a. F. (seit 2018: § 185 Abs. 5 SGB IX). Die zuständige Behörde lehnte den Antrag ab; Widerspruch, Klage und Berufung des Klägers hatten keinen Erfolg. Zur Begründung wurde im Wesentlichen darauf abgestellt, dass die Leistungen des SGB IX die Teilhabe am Arbeitsleben auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt ermöglichen, erleichtern oder sichern sollten. Durch seine Tätigkeit als Beamter sei der Kläger aber bereits in das Arbeitsleben auf dem allgemeinen Arbeitsmarkt eingegliedert, was durch die freiwillige Reduzierung dieser Tätigkeit auch nicht nachträglich entfalle; deshalb sei die Notwendigkeit einer Arbeitsassistenz zu verneinen.

Das BVerwG ist dieser Argumentation im Rahmen der Revision entgegengetreten. Im Wesentlichen prüft das Gericht dabei die Anforderungen an einen Anspruch auf eine „notwendige Arbeitsassistenz“ nach § 102 Abs. 4 SGB IX a. F. bis zum 31.12.2017 und anschließend § 185 Abs. 5 SGB IX. Im Ergebnis sei der Begriff der Notwendigkeit danach weit auszulegen. Eine solche sei nicht schon deshalb zu verneinen, weil der Kläger bereits einer anderen Teilzeitbeschäftigung nachgehe. Dies ergebe sich u. a. aus dem systematischen Vergleich zu § 49 Abs. 8 Satz 1 Nr. 3 SGB IX, der eine „befristete berufliche Einstiegshilfe“ (BR-Drs. 49/01 S. 320) regele, während § 185 Abs. 5 SGB IX weder eine derartige Zweckbestimmung noch eine Höchstdauer enthalte. Der Zielbestimmung in § 185 Abs. 2 Satz 2 SGB IX liege überdies das Verständnis eines Menschen zugrunde, dessen Persönlichkeit sich auch im Beruf durch Einsatz seiner Arbeitskraft entfalte. Aus der Entstehungsgeschichte schließt das Gericht, auch mit Blick auf Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG, dass die Vorschrift zwar auch dem Abbau von Arbeitslosigkeit diene (BT-Drs. 14/3372 S. 15), jedoch ebenfalls der Verbesserung der Chancengleichheit schwerbehinderter Menschen im Arbeitsleben. Es müsse einem schwerbehinderten – ebenso wie nichtbehinderten – Menschen grundsätzlich freistehen, darüber zu entscheiden, wie er seine Arbeitskraft einsetzt. Dementsprechend sei – nicht zuletzt mit Blick auf Art. 27 UN-BRK – rechtlich ausgeschlossen, den Anspruch auf Arbeitsassistenz darauf zu beschränken, dass Arbeitslosigkeit bereits eingetreten ist oder droht. Der Anspruch bestehe zudem auch dann, wenn die bestehende Tätigkeit freiwillig zeitlich verringert werde. Schließlich könne eine Anspruchsbegrenzung im Ergebnis auch nicht aus den begrenzten Mitteln der Ausgleichsabgabe abgeleitet werden. Die vorliegende BVerwG-Entscheidung sticht dadurch hervor, dass einige denkbare grundsätzliche Restriktionen beim Anspruch auf Arbeitsassistenz gegen die Integrationsämter verneint werden und der Anspruch auf eine „notwendige Arbeitsassistenz“ dadurch insgesamt gestärkt wird. Durch eine Bezugnahme auf diese Entscheidung in einem Beschluss des BVerwG vom 27.07.2018 (5 B 1/18) wird ihre richtungsweisende Bedeutung noch weiter herausgestellt.