Vom Ziel einer gleichberechtigten Teilhabe sind wir noch weit entfernt

5 Fragen an Prof. Dr. Thomas Abel

1. Sport gilt als „Motor“ gesellschaftlicher Entwicklungen – auch für Inklusion im Sport in Deutschland?

Sport ist ein sehr potenter Motor für viele gesellschaftliche Entwicklungen. Vor allem ist der Zugang zur Bewegungs-, Spiel- und Sportkultur aber ein Teilhaberecht, das im § 30 der UN-Behindertenrechtskonvention verankert ist und letztlich auch nationales Recht darstellt. Somit gibt es eine gesellschaftliche Verpflichtung, diesen Zugang für alle Menschen zu ermöglichen. Leider zeigen aktuelle wissenschaftliche Daten aber, dass wir diesen gleichberechtigten Zugang zum Sport oder zur Bewegung unzureichend ermöglichen: So sind 55 Prozent der Menschen mit einer Behinderung nie sportlich aktiv, bei den Menschen ohne Behinderung gilt dies für 32 Prozent.

Aber dort, wo Menschen gemeinsam Sport treiben, wo Menschen freudvoll und emotional positiv besetzte Bewegungserfahrungen teilen, wird sicherlich etwas angestoßen, was deutlich über das eigentliche Sporttreiben hinaus geht. Sport ist ein ideales Feld, um positive Begegnungsräume zu schaffen. Wir müssen das viel mehr umsetzen!

2. Was kann der Sport für die Teilhabe von Menschen mit Behinderungen leisten?

Sport kann aus meiner Sicht auf zwei Ebenen Wirkung entfalten, indem Inklusion im und durch den Sport umgesetzt wird. Im Sport heißt, dass Menschen in ihrer Unterschiedlichkeit und mit ihren unterschiedlichen Funktionalitäten im Sport oder in den Bewegungsangeboten willkommen geheißen werden, Teilhabe ermöglicht wird. Das beinhaltet auch das Bekenntnis dazu, dass Sportangebote so angepasst werden, dass die Person teilhaben kann. Die Verantwortung liegt nicht bei der Person oder beim Individuum.

Inklusion durch Sport bedeutet, dass sich aus der Teilhabe im Sport Veränderungen ergeben, die über das Sport- oder Bewegungsangebot hinaus Wirkung entfalten. Das kann zum Beispiel eine umfassendere soziale Teilhabe einer Person sein, die im Sport neue Bezugspersonen oder Freunde gefunden hat, das kann aber auch die Veränderung auf Seiten einer Person bedingen, die Teilhabe im Sport erfährt. Die Veränderung der eigenen körperlichen Leistungsfähigkeit, das Erfahren einer Selbstwirksamkeit im Sport, ein durch den Sport verändertes Selbstvertrauen, all dies wird Wirkung auf allen Teilhabeebenen entfalten und damit über die Teilhabe in der Sportgruppe hinaus wirken.

3. Welche Voraussetzungen sind für das Gelingen von Inklusion im Sport notwendig?

Für mich ist Haltung die zentrale Voraussetzung für das Gelingen von Inklusion! Natürlich, und das ist keine Frage, geht es auch um barrierefreie Sportstätten, um qualifizierte Übungsleiterinnen und -leiter um passendeAngebote. Aber, ob Inklusion letztlich gelingt oder nicht, misst sich für mich daran, ob beispielsweise das Kind mit einer Halbseitenlähmung im Sportverein um die Ecke so wie es ist und mit der eigenen Funktionalität willkommen geheißen wird. Und das hängt zentral davon ab, welche Haltung die handelnden Personen im Verein, oftmals aufgrund der eigenen sportlichen Erfahrungen, haben. Es geht also darum, ob es Begegnungen gab, in denen der Wert von Vielfalt und der Wert des gemeinsamen Sporttreibens erlernbar und erlebbar war.

4. Was sind Hindernisse und Hürden?

Für mich vor allem die fehlenden Begegnungsräume. Wir kennen uns zu wenig, sind zu wenig in Kontakt. Deshalb brauchen wir Inklusion beim Lernen in der Schule, wir brauchen Begegnung im beruflichen Kontext und wir müssen unbedingt Freizeitaktivitäten gemeinsam erleben. Darin liegt so eine große Chance. Aber wir brauchen auch ein politisches und gesellschaftliches Bekenntnis zur Inklusion und damit verbunden die Bereitschaft, notwendige, nicht nur finanzielle Ressourcen zur Verfügung zu stellen.

5. Konnten die Regelungen des reformierten SGB IX Akzente für Inklusion im Sport setzen?

Aus meiner Sicht sind die Änderungen im Bereich der Leistungen zur sozialen Teilhabe bedeutsam und auch die Änderung von einer Einrichtungszentrierung zur Personenzentrierung. Und natürlich ist das Wunsch- und Wahlrecht mit der individuellen Zentrierung auf die Person eine sehr bedeutsame Veränderung. Dass wir ein Unterstützungssystem haben, in dem
Sport als Mittel der Rehabilitation verordnet und bezahlt werden kann, ist wichtig. Menschen in vielen anderen Ländern beneiden uns um dieses System. Aber ich glaube, dass der eigentliche Akzent zur weiteren Veränderung hin zu einer umfassenden Teilhabe aller Menschen in der Bewegungs-, Spiel und Sportkultur aus dem System des Sports kommen muss. Hier sind in den letzten Jahren einige große Schritte gemacht worden, aber wir dürfen nicht müde werden, weiter voranzukommen. Die Zahlen belegen ja eindrucksvoll, dass wir noch weit vom eigentlichen Ziel einer gleichberechtigten Teilhabe entfernt sind.