Neues Bedarfsermittlungsinstrument in Nordrhein-Westfalen

Die Träger der Eingliederungshilfe (EGH) sind mit dem BTHG dazu verpflichtet worden, Bedarfe mit einem einheitlichen Instrument je Bundesland zu ermitteln. In Nordrhein-Westfalen haben sich die beiden überörtlichen Träger der Eingliederungshilfe (LWL und LVR) darauf verständigt, ein neues gemeinsames Bedarfsermittlungsinstrument zu entwickeln und zu nutzen – das BEI_NRW. Das Instrument bildet das Herzstück des neuen Gesamtplanverfahrens.

Mit der nächsten Reformstufe zum Jahreswechsel werden die Leistungen der EGH aus dem Sozialgesetzbuch (SGB) XII in das SGB IX überführt. Bedarfe sind dann innerhalb eines einheitlichen Gesamtplanverfahrens zu ermitteln (§ 117ff. SGB IX). Die leistungsberechtigte Person ist an allen Schritten des Verwaltungsverfahrens in einer für sie wahrnehmbaren Form zu beteiligen. Auch kann sie auf Wunsch eine Person ihres Vertrauens hinzuziehen.

 

Bei_NRW – Bedarfsermittlung in vier Teilen
Der Basisbogen …
… erfasst die personbezogenen Daten sowie alle Leistungen der EGH und anderer Leistungsträger, die für die Sicherung der Teilhabe der leistungsberechtigten Person von Bedeutung sind.

Der Gesprächsleitfaden und die Dokumentation zur Erfassung der Perspektive der Leistungsberechtigten …
… widmet sich der Beschreibung der Lebenssituation. Die leistungsberechtigte Person wird aufgefordert, ihre persönlichen Ziele und Visionen ohne Beschränkung in eigenen Worten zu formulieren. Unterstützt durch einige Leitfragen, die sich am bio-psycho-sozialen Modell der ICF orientieren, erhält sie die Möglichkeit, ihre Sicht dazustellen, z. B.

  • Was wichtig ist, um mich oder meine Situation zu verstehen.
  • Was mir gelingt und was mir gelingen könnte.
  • Was mir nicht so gut gelingt und was ich verändern möchte.

Hierauf aufbauend werden gemeinsam mit einer Fachkraft Leitziele formuliert. Diese können mehrere Lebensbereiche betreffen und machen die grundsätzliche Ausrichtung der Gesamtplanung erkennbar.

Der Gesprächsleitfaden und die Dokumentation zur Erfassung der ergänzenden Sicht
Ausgehend von den Leitzielen wird die ergänzende Sicht, z.B. einer Fachkraft, erhoben. Diese wird für jeden der neun Lebensbereiche (Aktivitäten und Teilhabe der ICF) beschrieben, was für die Gesamtplanung relevant ist. Dabei wird z. B. auf folgende Aspekte eingegangen:

  • Leistung und Leistungsfähigkeit: „Was gelingt und was dem Menschen mit Behinderung gelingen könnte“,
  • Behinderung: „Was nicht so gut gelingt und was verändert werden könnte“,
  • Kontextfaktoren (-): „Wer oder was den Mensch mit Behinderung daran hindert, so zu leben, wie er/sie will“.

Die Ziel-, Maßnahmen- und Leistungsplanung …
… basieren auf den Informationen aus dem Gesprächsleitfaden. Sie werden ausgewertet und in eine bedarfsdeckende Gesamtplanung überführt. Unter Berücksichtigung

  • der ICF-Bewertung der Probleme,
  • der Ableitung von Handlungszielen,

wird eine Maßnahme- und Leistungsplanung erstellt.

 

Ziel und Aufbau des BEI_NRW

Oberstes Ziel ist es, die Bedarfe eines Menschen umfassend zu berücksichtigen. Dies gilt im BEI_NRW gleichermaßen für die Leistungen zur sozialen Teilhabe, zur Arbeit als auch zur Bildung. Dazu haben der Landschaftsverband Rheinland (LVR) und der Landschaftsverband Westfalen-Lippe (LWL) mit dem BEI_NRW ein konsequent dialogisch ausgerichtetes Instrument entwickelt, das im Kern auf das Gespräch setzt. Der strukturierte Gesprächsleitfaden babasiert auf dem bio-psycho-sozialen Modell der ICF; davon ausgehend werden die Teilhabebeeinträchtigungen der Leistungsberechtigten beschrieben und ihre Auswirkungen auf die Aktivitäten und Teilhabe der Antragsteller*in bewertet. Dem folgt schließlich eine Ziel- und Maßnahmeplanung. Die Leistungsberechtigten haben die Möglichkeit, sich anhand des Bogens zur „Persönlichen Sicht“ auf die Bedarfsermittlung mit dem BEI_NRW vorzubereiten bzw. diesen selbst auszufüllen und zu bearbeiten.

Einführung und Umsetzung im Rheinland beim LVR

Das BEI_NRW ist in Inhalt und Ausführung ein komplexes Instrument, dessen Einführung und Nutzung umfangreiche Prozessveränderungen durch den Landschaftsverband Rheinland (LVR) bedingt. Allein die technische Implementierung des Instruments, das im Zusammenspiel mit weiteren Verfahren zur Antragsbearbeitung steht, stellt den ITBereich des LVR vor enorme Herausforderungen. Weitere Herausforderungen sind die vorgesehenen Zugriffsrechte für externe Anwender*innen und die Sicherstellung des Datenschutzes.

Die Bedarfe (Erst- und Folgeanträge) von Kindern und Jugendlichen werden ab dem 1.1.2020 ausschließlich durch eigene Beschäftigte erhoben. Bei erwachsenen Menschen mit (drohender) Behinderung hält der LVR an seinem kooperativen Modell der Bedarfsermittlung mit der freien Wohlfahrtspflege fest – aber in einer modifizierten Form. Folgeanträge sollen wie bisher durch die Leistungserbringer erhoben werden.

Qualifizierungsbedarf

Insgesamt ergibt sich ein hoher Qualifizierungsbedarf. Aufbauend auf einem gemeinsamen Schulungskonzept beider Landschaftsverbände und umfangreichem Schulungsmaterial wurden beim LVR Qualifizierungen für Multiplikator*innen gestartet. Diese richteten sich zunächst an die Fallmanager*innen des LVR und seit Juni 2019 in einem weiterenSchritt an die Mitarbeitenden der Leistungserbringer. Dabei kommt auch ein Multiplikatorensystem zum Einsatz. Die Begleitmaterialien zum BEI_NRW stehen auf den Websites der Landschaftsverbände zur Verfügung:
LVR.de > Soziales > Menschen mit Behinderung > Wohnen > Hilfeplanverfahren.