RehaPlus – ein Praxisbeispiel

KI in der gesetzlichen Unfallversicherung

Das Reha-Management der Berufsgenossenschaft Energie Textil Elektro Medienerzeugnisse (BG ETEM) greift bei schweren Arbeits- und Wegeunfällen. Ziel ist ein optimaler Heilungserfolg durch Vernetzung aller medizinischen Maßnahmen. Eingesetzt werden dafür alle geeigneten Mittel, die Koordination erfolgt ganzheitlich aus einer Hand; Rehabedarfe werden effektiv erkannt. So kann die BG ETEM eine optimale Heilbehandlung sowie eine zeitnahe und dauerhafte berufliche und soziale Wiedereingliederung für die Versicherten gewährleisten. Auf diesem Wege soll auch bei bleibenden Schäden eine selbstbestimmte Lebensführung ermöglicht werden.

Bei der Entscheidung, ob Betroffene durch das Reha-Management begleitet werden, spielt selbst erworbenes Erfahrungswissen eine wichtige Rolle. Seit 2021 unterstützt bei der BG ETEM zusätzlich Künstliche Intelligenz (KI) diesen Prozess. Der gezielte Einsatz von Künstlicher Intelligenz leistet einen Beitrag, um potenzielle Fälle fürs Reha-Management zu einem möglichst frühen Zeitpunkt zu ermitteln. KI-Systeme können lernen und sind so in der Lage, automatisiert Muster und Auffälligkeiten zu erkennen. Sie verarbeiten dafür sehr große Datenmengen und verfeinern die von ihnen verwendeten Algorithmen fortlaufend.

RehaPlus, so der Name des Programms, wird fortlaufend mit großen Mengen bereits vorhandener Daten automatisiert gespeist. Es erfasst über 300 verschiedene Merkmale abgeschlossener Fälle und prüft mit dem auf diese Weise gewonnenen „Wissen“ die aktuellen Unfälle. Die Frage lautet: Gibt es Hinweise, die einen komplexen Verlauf vermuten lassen? Die KI erfasst auch Zusammenhänge, die der Sachbearbeitung in manchen Fällen eventuell verborgen geblieben wären. RehaPlus liefert auf diese Weise auch einheitliche Bewertungsmaßstäbe zur Entscheidung über die Aufnahme ins Reha-Management. Das Programm stellt seinen Nutzern drei sich ergänzende Prognosen zur Verfügung: zur Reha-Management-Wahrscheinlichkeit, zur voraussichtlichen Dauer der Arbeitsunfähigkeit und zu den voraussichtlichen Kosten des Falls.
Zweimal pro Woche bewertet das System die aktuellen Fälle mit vergangenen Fällen. Bei schweren Verletzungen ist die Aufnahme ins Reha-Management in der Regel eindeutig und es bedarf keiner KI. Die KI leistet aber wertvolle Entscheidungshilfen gerade bei nicht so eindeutigen Grenzfällen.

Der Einsatz von RehaPlus bei der BG ETEM wurde von Anfang an wissenschaftlich unterstützt – in Form einer begleitenden Masterarbeit. 44 bzw. 120 Anwenderinnen und Anwender beantworteten dafür in zwei Runden jeweils bis zu 70 Fragen. Die erste Runde erfolgte während der Testphase im Sommer 2021, die zweite nach der Einführung. Demnach erreicht die Zustimmung zum Einsatz Künstlicher Intelligenz im Reha- und Leistungsbereich einen sehr hohen Grad (ca. 90 %).

Es werden zudem die für eine Prognose wichtigen Kontextfaktoren wie beispielsweise die Stärke der empfundenen Schmerzen, das Vorhandensein eines stabilen sozialen Umfelds etc. mit in die Beurteilung von RehaPlus aufgenommen. Dazu dient ein strukturierter Fragebogen, der während des Telefonates mit den Versicherten am Bildschirm direkt befüllt wird. Die Angaben fließen sodann in die Gesamtbewertung der KI-Modelle ein. Solche Faktoren sind in den vorhandenen Daten und Arztberichten meist unzureichend abgebildet, beeinflussen den Krankheitsverlauf aber häufig erheblich. Die Zusammenführung zwischen diesen Faktoren und den „harten Daten“ ermöglicht eine deutlich verbesserte Bewertung des Einzelfalles.

Besonderen Wert legt die BG ETEM auf die Nachvollziehbarkeit der Entscheidungen von RehaPlus. Die Prognosen werden in der Anwendung im Detail dargestellt, sodass transparent erkennbar ist, welche Faktoren im individuellen Fall ausschlaggebend für die Prognose sind.

Dr. Johannes Hüdepohl – BGETEM,  Leiter Stabsstelle Controlling
Bernd Kirschenheuter – BGETEM,  Ressortleiter Unfall, Regionaldirektion Südost
Nancy Helmis – BGETEM, Sachbearbeiterin Stabsbereich Rehabilitation