„LiES!“– Literatur in Einfacher Sprache
Interview mit Autor Christian Dittloff zum Projekt des Literaturhauses Frankfurt
Was hat Sie daran gereizt, sich an dem Projekt „LiES!“ Literatur in Einfacher Sprache zu beteiligen?

Als ich die Anfrage erhalten habe, hatte ich gerade eine Dokumentation über Leichte und Einfache Sprache gesehen und gedacht: Es ist so wichtig, Zugänge zu Informationen, Bildung, Teilhabe zu ermöglichen. Was kann ich dafür tun? Mein Beruf ist die Literatur, das Schreiben von Romanen und Geschichten. Deshalb sehe ich in diesem Projekt eine Möglichkeit, mich im Rahmen meiner Expertise ganz konkret an einer gerechteren Gesellschaft zu beteiligen.
Wie gehen Sie beim „barrierefreien“ Schreiben vor?
Einen barrierefreien Text gehe ich genauso an, wie jeden anderen. Ich frage mich: Was interessiert mich, welches Thema möchte ich mit welchen Mitteln der Sprache untersuchen? Aktuell habe ich mich viel damit beschäftigt, inwiefern das Erzählen und Hören von Geschichten uns Menschen auf das Engste miteinander verbindet. Denn im Erzählen, im Anvertrauen und gemeinsamen Erleben finden wir unseren Platz in der Welt. Geschichten können ein soziales Netz weben. Deshalb handelt meine Geschichte davon, wie ich einem Kind in meiner Familie Geschichten aus meiner eigenen Kindheit und Jugend erzähle. In diesem Moment erleben wir gemeinsam eine große familiäre Nähe. Sowohl ich als Geschichtenerzähler, als auch der Junge, der die Geschichten unbedingt hören will. Ganz nebenbei wird er selbst zu einem Geschichtenerzähler.
Einfache Sprache, große Literatur – ein Widerspruch?
Das ist überhaupt kein Widerspruch. Mein Literaturverständnis zielt ohnehin darauf ab, dass Literatur verstanden werden soll. Außerdem ist es literarische Tradition, sich Regeln aufzuerlegen, um Literatur hervorzubringen und sie dann auch wieder zu brechen. Das können Gattungskonventionen sein, wie sie das Gedicht, die Dramatik oder der Roman haben. Konventionen, deren Grenzen auch herausgefordert werden können. Oder ad absurdum geführt: ein Text, der ohne den Buchstaben e auskommt.
Die Regeln des Schreibens in einfacher Sprache haben meinem eigenen Text zu einem Sound verholfen, der mich in seiner Soghaftigkeit richtig überrascht hat. Ich konnte gar nicht mehr aufhören zu schreiben. In den bereits veröffentlichten Texten aus dem LIES!-Projekt ist ganz sicher große Literatur entstanden: Julia Schoch, Judith Herrmann, von Annette Pehnt, Olga Grjasnowa und Kristoff Magnusson, um nur einige zu nennen. Und ich bin mir sicher, dass auch im neuen Band wieder große Literatur dabei sein wird.

Können Sie uns die Regeln schildern, nach denen Sie und Ihre Schriftsteller- Kolleginnen und -Kollegen beim Schreiben vorgehen?
Es geht darum, verständlich zu schreiben. Die Sätze sollen kurz sein, mehr Verben als Hauptwörter enthalten, aus nur einer Perspektive erzählt werden. Fremdworte und Metaphern werden vermieden oder im Text erklärt. Das alles sind übrigens Regeln, die nicht nur Texten in einfacher Sprache guttun.
Auch das Schriftbild ist wichtig: Zum Beispiel wird nach fast jedem Satz ein neuer Absatz begonnen, sodass alle Sätze gleich wichtig werden. Das erzeugt einen ganz eigenen literarischen Sog.
Welche Rolle spielt für Sie die Inklusion in unserer Gesellschaft?
Inklusion ist auch ein Ausdruck von Respekt und Menschlichkeit. Sie schafft Räume, in denen niemand ausgegrenzt oder benachteiligt wird, und in denen wir uns gegenseitig unterstützen können. Dafür müssen vielfältige Mittel bereitgestellt werden, denn unterschiedliche Menschen haben unterschiedliche Bedürfnisse. Eine gerechte Gesellschaft kann überhaupt erst hergestellt werden, wenn alle Menschen am öffentlichen Leben teilhaben können.

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