Kinder mit Sprachentwicklungsstörungen
Sprachtherapie als Voraussetzung für Teilhabe und Bildungserfolg
Sprache ist viel mehr als nur ein Mittel, um miteinander zu sprechen. Sie ist Bestandteil unserer Identität und hilft uns Kontakte zu knüpfen, Beziehungen zu pflegen und eröffnet Bildungschancen. Für Kinder ist Sprache wie ein Schlüssel zur Welt. Durch die sprachliche Interaktion wächst nicht nur ihr Wortschatz, sondern auch das Selbstvertrauen und die Fähigkeit, mit ihren Mitmenschen in Beziehung zu treten. Zudem ermöglicht Sprache Zugang zu Bildung und ist Grundlage für die Ausbildung späterer Lese- und Rechtschreibfähigkeiten sowie Problemlöse- und mathematischer Fähigkeiten.




Kinder erwerben in den ersten drei bis vier Lebensjahren scheinbar mühelos und ohne Unterricht die grundlegenden Regeln ihrer Umgebungssprache(n). Sie lernen diese zu verwenden und zu verstehen und in Kommunikationssituationen korrekt einzusetzen. Was oft als selbstverständlich angesehen wird, ist bei näherer Betrachtung eine riesige Entwicklungsaufgabe, bei der Kinder unterschiedliche linguistische und kommunikative Kompetenzen erwerben, die sich in verschiedene Bereiche unterteilen lassen:
- Phonologische Kompetenzen: Die Kinder lernen die verschiedenen Laute ihrer Umgebungssprache(n) auditiv zu identifizieren, zu differenzieren und korrekt in Wörtern zu verwenden.
- Semantisch-lexikalische Kompetenzen: Die Kinder erfassen die Bedeutung von Wörtern und speichern diese gemeinsam mit der Wortform im mentalen Lexikon ab. Mit zunehmendem Wortwissen werden die Lexikoneinträge weiter ausdifferenziert und miteinander verknüpft.
- Morphologisch-syntaktische Kompetenzen: Kinder erkennen die Regeln der Wortstellung in Sätzen und können die Wortformen an den syntaktischen und inhaltlichen Kontext anpassen.
Doch nicht allen Kindern gelingt der Spracherwerb ohne Schwierigkeiten,denn bei 7,6 Prozent der Kinder ist eine Sprachentwicklungsstörung (SES) festzustellen (Norbury et al. 2016). Damit zählt die SES zu den häufigsten Entwicklungsstörungen. Kinder mit SES haben Schwierigkeiten, sich sprachlich mitzuteilen und/oder Sprache zu verstehen.
Je nach individueller Ausprägung der SES kommt es zu Lautersetzungen, Einschränkungen des Wortschatzes, Schwierigkeiten in der Wortbeugung, beispielsweise der Pluralbildung oder Kasusmarkierung, oder auch Fehlern in der Bildung von Satzstrukturen. Neben der Sprachproduktion kann auch das Sprachverständnis betroffen sein.
Häufig führen Beeinträchtigungen im Spracherwerb zu Problemen in weiteren Entwicklungsbereichen, beispielsweise der kognitiven oder sozial-emotionalen Entwicklung. Untersuchungen belegen, dass etwa die Hälfte der Kinder mit SES Auffälligkeiten in der emotional-sozialen Entwicklung (ESE) zeigt. So haben die eingeschränkten sprachlichen Fähigkeiten sowohl für die Regulation der eigenen Gefühle als auch für die Kontaktaufnahme und -gestaltung mit Gleichaltrigen negative Konsequenzen.

Eine SES kann zuverlässig ab dem Alter von drei Jahren diagnostiziert werden und die Kinder können anschließend mit einer evidenzbasierten Sprachtherapie erfolgreich in ihrer sprachlichen Entwicklung unterstützt werden (DGPP 2022). Ein weiterer wichtiger Baustein ist die Elternberatung. Ein sprachlich zugewandtes Umfeld, das dem Kind an den jeweiligen Entwicklungsstand angepasste sprachliche Lernangebote unterbreitet, stellt einen weiteren positiven Einflussfaktor dar. Auch ein informiertes pädagogisches Umfeld in Kindertagesstätten und Schulen spielt für die Entwicklung von Kindern mit SES eine Rolle. So ist beispielsweise die Sicherung des Sprachverständnisses durch Anpassung der Lehrkraftsprache und der Arbeitsmaterialien ein wesentlicher Faktor zur Erreichung von Chancengleichheit. Gegebenenfalls benötigt das Kind zusätzliche sonderpädagogische Unterstützung in Bildungseinrichtungen (Lüke et al. 2024). Aus der Kombination von therapeutischen sowie pädagogischen Maßnahmen können Kinder mit SES bestmöglich in ihrer Entwicklung gefördert und ihre gesellschaftliche Partizipation erweitert werden.
| Literatur DGPP et al. (2022): Therapie von Sprachentwicklungsstörungen – Interdisziplinäre S3-Leitlinie. Online verfügbar: https://register.awmf.org/de/leitlinien/detail/049-015 (16.10.2025) Lüke, C.; Starke, A.; Sallat, S.; Albrecht, K. (2024): Sprachentwicklungsstörung – Ein Ratgeber für Eltern, therapeutische und pädagogische Fachpersonen. Idstein: Schulz-Kirchner Verlag. Norbury, C. F.; Gooch, D.; Wray, C. et al. (2016): The impact of nonverbal ability on prevalence and clinical presentation of language disorder: Evidence from a population study. In: Journal of child psychology and psychiatry, 57(11), S. 1247–1257. |
