Interprofessionelle Zusammenarbeit in der medizinischen Reha
Vorbereitung des Nachwuchses durch neue gemeinsame Lehrkonzepte

Die interprofessionelle Zusammenarbeit (IPZ) im Reha-Team ist ein zentraler Bestandteil und ein Qualitätsmerkmal der medizinischen Rehabilitation. In einem aktuellen Forschungsprojekt (INFORM1) wurden über 500 Mitarbeitende der verschiedenen Gesundheits- und Sozialberufe in der medizinischen Rehabilitation unter anderem zu ihren Erfahrungen in der gemeinsamen Zusammenarbeit befragt (Gruppendiskussionen, Einzelgespräche, Online Fragebogen). Die Reha-Mitarbeitenden vermittelten, dass ihnen die IPZ sehr wichtig ist und essenziell für die gute Versorgung der Rehabilitandinnen und Rehabilitanden sei.


Die berichteten Erfahrungen waren klinikabhängig sehr unterschiedlich. Viele gaben an, regelmäßige berufsübergreifende Teambesprechungen durchzuführen. Aber nicht immer gäbe es laut den Mitarbeitenden dort einen echten Austausch. Außerdem gab es große Unterschiede, welche Berufsgruppen dabei sein konnten: So berichteten z. B. Diätassistentinnen, in der Zusammenarbeit zu wenig berücksichtigt zu werden. Mitarbeitende der Physio- und Sporttherapie würden aufgrund der knappen Therapieplanung teilweise nicht für Besprechungen freigeplant. Auch die Wertschätzung wurde unterschiedlich erlebt: In fast allen Berufsgruppen gab mindestens ein Drittel an, mit Vorurteilen gegenüber der eigenen Berufsgruppe konfrontiert zu werden (besonders häufig: Diätassistenz, Logopädie, Pflege). Bei Mitarbeitenden der Ergotherapie und Diätassistenz stimmte weniger als die Hälfte zu, dass die anderen Berufsgruppen ihre Kompetenzen kennen würden. Die größten Hindernisse der IPZ waren bei den Befragten Personal- und Zeitmangel. Feste Besprechungszeiten und eine "Kommunikation auf Augenhöhe" sowie unterstützende Führungskräfte fördern die Zusammenarbeit. Außerdem helfe es, wenn für alle Beteiligten klar sei, welche Berufsgruppe welche Aufgaben und Rollen in der Versorgung der Rehabilitandinnen und Rehabilitanden übernimmt.
Fehlende Vorbereitung auf interprofessionelle Zusammenarbeit
Insgesamt zeigte sich auch, dass nur 27 Prozent der Reha-Mitarbeitenden in der Ausbildung/im Studium auf die interprofessionelle Arbeit vorbereitet wurden bzw. Lehrinhalte dazu erhalten haben. 29 Prozent der Befragten wurden "gar nicht" darauf vorbereitet. Ein gutes professionelles Selbstbewusstsein sowie kommunikative Kompetenzen wurden als wichtig für die Zusammenarbeit im Team angesehen. Auch in einer anderen Erhebung (Expert:inneninterviews im Projekt GeReVer) mit Personen aus verschiedenen Gesundheitsberufen, die praktische Erfahrungen im Bereich der Rehabilitation und/oder der Erwachsenenbildung hatten, zeigten sich ähnliche Einflussfaktoren auf die IPZ. Wichtig sei im interprofessionellen Team nicht nur die bloße Anwesenheit verschiedener Berufsgruppen, sondern die Interaktion und gemeinsame Handlungsfähigkeit. Eigenschaften des Teams, die IPZ positiv beeinflussen, wären demnach gemeinsame Wertvorstellungen bzw. ein geteiltes Bild von Rehabilitandinnen und Rehabilitanden. Ein gutes Teamklima zeichne sich durch Vertrauen, Wertschätzung und Gleichberechtigung aus.
Rollenklarheit und berufliche Hintergründe
Die Rollenklarheit ist das Verständnis über die Grenzen und Schnittmengen zu anderen Berufsgruppen und den (eigenen) professionellen Verantwortungsbereich. Eine mangelnde Rollenklarheit kann Konkurrenzverhalten verstärken und somit IPZ negativ beeinflussen. Jede Berufsgruppe im Reha-Team hat eigene spezielle Fähigkeiten, Handlungskompetenzen und zum Teil auch Untersuchungsinstrumente. Bei der praktischen Arbeit in der Rehabilitation bleibt eher selten die Zeit, sich mit anderen Berufsgruppen über deren Kompetenzen auszutauschen oder zu hospitieren.
Eine Möglichkeit, diese Rollenklarheit und Kompetenzen beim Nachwuchs in den Gesundheits- und Sozialberufen des Reha- Teams zu fördern, sind interprofessionelle Lehrveranstaltungen (IPL) bereits in der Ausbildung/im Studium. Bei einer IPL kommen Lernende aus verschiedenen Berufen zusammen, um gemeinsam mit- und voneinander zu lernen. Daher braucht es rehabilitationsbezogene interprofessionelle Lehrkonzepte (Reha-IPL). In Deutschland gibt es aktuell keine Reha- IPL mit mehr als vier Berufsgruppen. Es besteht ein deutlicher Bedarf, den Kontakt und den Austausch der verschiedenen Berufsgruppen des Reha-Teams schon in der Ausbildung/im Studium zu fördern. Daher haben wir am Institut für Rehabilitationsmedizin der Martin-Luther-Universität Halle-Wittenberg auf Basis dieser Erkenntnisse eine neue Reha-IPL für bis zu zehn Berufsgruppen konzipiert, die zum Mai 2025 gestartet ist.
Welche Berufsgruppen jeweils an Reha-IPL-Veranstaltungen teilnehmen können, ist abhängig von den jeweiligen Kooperationen mit den verschiedenen Studien- und Ausbildungsgängen vor Ort. Das Ziel ist, möglichst viele Berufsgruppen des Reha-Teams einzubeziehen. Die neu entwickelten Reha-IPL an der Martin-Luther-Universität starten mit Lernenden der Studiengänge Humanmedizin, Pflege, Psychotherapie, Sprech- und Ernährungswissenschaft sowie der Ausbildungsgänge der Logopädie, Physio- und Ergotherapie.
In Vorgesprächen mit den angefragten Studiengängen und Ausbildungen zeigte sich, dass dort bisher kaum Informationen zum Thema "Rehabilitation" vermittelt werden. Dabei ist es für die IPZ in der Rehabilitation sehr wichtig, Kenntnisse über die Bedeutung und Struktur der Reha, das Sozialgesetzbuch IX und die "Internationale Klassifikation der Funktionsfähigkeit, Behinderung und Gesundheit" (ICF) zu haben, damit eine "gemeinsame Sprache" gesprochen werden kann. Das notwendige rehabilitationsbezogene Wissen, um die Aufgaben bearbeiten zu können, wird zu Beginn der Reha-IPL vermittelt, um die Sprechfähigkeit zu fördern.
Bei der Planung einer IPL sollten neben den verschiedenen beruflichen Hintergründen auch die Unterschiede im theoretischen und praktischen Wissensstand der Lernenden berücksichtig werden, weil sie sich in verschieden Phasen ihrer Ausbildung und ihres Studiums befinden. Die Studien- und Ausbildungsverordnungen geben teilweise auch die Rahmenbedingungen für die IPL vor (z. B. Umfang, Zeitpunkt). Um den Bedarfen und fachlichen Kenntnissen der einzelnen Berufsgruppen in der IPL gerecht zu werden, sollten schon bei der Entwicklung des Lehrkonzepts und der Lehrmaterialien die verschiedenen Professionen miteinbezogen werden.
Die Ziele der Reha-IPL sind, die Rollen und Verantwortlichkeiten der verschiedenen Berufsgruppen des Reha-Teams kennenzulernen sowie die offene, wertschätzende und respektvolle Kommunikation im interprofessionellen Team zu schulen. Des Weiteren sollen die Lernenden individuelle relevante Therapie- und Rehabilitationsziele interprofessionell erarbeiten. Hierfür werden realitätsnahe Fallbeispiele eingesetzt, um einen guten Praxistransfer zu ermöglichen. Die Lernenden schätzen eine informelle Phase zu Beginn der IPL, um sich gegenseitig kennenzulernen und in einen ungezwungenen Austausch zu treten. Hierbei kommt es häufig schon zu Fragen nach den beruflichen Hintergründen der anderen Lernenden. Außerdem fördert es die interprofessionelle Kommunikation im weiteren Verlauf. Die Lernenden sollen in einer interprofessionellen Fallbesprechung ihre kommunikativen und rehabilitationsbezogenen Kompetenzen erproben. Hierbei nimmt die lehrende Person eine moderierende oder coachende Rolle ein. Zum Abschluss der Veranstaltung werden neben den Ergebnissen der Fallbesprechung auch die Erfahrungen bei der interprofessionellen Zusammenarbeit und Kommunikation reflektiert.
Fazit
Die interprofessionelle Zusammenarbeit in der medizinischen Rehabilitation wird von Reha-Mitarbeitenden als essenziell für die Versorgungsqualität gesehen. Die Zusammenarbeit wird u. a. durch Rollenklarheit, Kommunikation auf Augenhöhe und professionelles Selbstbewusstsein gefördert. Ein frühzeitiges Kennenlernen der Berufsgruppen in interprofessionellen Lehrveranstaltungen bereits in der Ausbildung/im Studium kann dabei helfen, den Nachwuchs in den Gesundheitsberufen auf eine gute Zusammenarbeit vorzubereiten.
1 INFORM-Projekt (Leitung: A. Salzwedel), https://osf.io/37s6v