Was geht ambulant?

Die Rehabilitation unterliegt schon seit einigen Jahren einem grundlegenden Wandlungsprozess. Die alternde Bevölkerung, der Wandel des Krankheitsspektrums und eine sich ändernde Arbeitswelt sprechen für eine flexible Gestaltung der Rehabilitation, mit möglichst passgenauen und ambulanten Versorgungstrukturen. Oft sind eine wohnortnahe Behandlung, die Versorgung der Familie oder die Angst um den eigenen Arbeitsplatz Gründe, die Reha ambulant zu machen. Diese individuellen Lebensbedingungen und -gewohnheiten zu berücksichtigen, stellt einen Garant für den bestmöglichen Rehabilitationserfolg dar. Eine Reha auch wohnortnah ambulant machen zu können bedeutet außerdem ein Höchstmaß an Unabhängigkeit und Selbstbestimmung, was mit der UN-Behindertenrechtskonvention für Menschen mit Behinderungen weltweit vereinbart wurde.

Der Weg zur ambulanten Rehabilitation

Sind zunächst in Deutschland Reha-Maßnahmen fast ausschließlich stationär durchgeführt worden, erhielten ambulante Leistungen 2001 eine klare gesetzliche Basis: Die ambulante Reha wurde in dem zu dieser Zeit verabschiedeten SGB IX festgeschrieben. Für die medizinische Reha lag bereits 1995 die erste BAR-Rahmenempfehlung zur ambulanten medizinischen Rehabilitation vor, in welcher Reha-Träger und Experten aus dem Leistungsgeschehen konzeptionelle und strukturelle Anforderungen an Reha-Einrichtungen formuliert hatten. In dieser Zeit etablierten sich einige ambulante Modellvorhaben in der Praxis.

Ambulant ist nicht gleich ambulant

Um auf die gesellschaftlichen Entwicklungen zu reagieren, ist eine flexiblere Ausrichtung der Rehabilitation mit ambulanten Alternativen unumgänglich. Bei bedarfsgerechter struktureller, personeller und finanzieller Ausstattung kann sie dann ein Schlüssel sein, um zukünftige Herausforderungen zu bewältigen. Gesetzlich verankert und in medizinischen, beruflichen und sozialen Teilhabebereichen längst etabliert, existiert eine große Bandbreite an Angeboten und Einrichtungen / Diensten. Selbst die Bezeichnungen reichen von „wohnortnah“, über „teilstationär“ bis „ganztätig ambulant“. Oft wird eine ambulante Maßnahme in einer nahegelegenen stationären Reha-Einrichtung absolviert, damit die tägliche Rückkehr in das häusliche Umfeld möglich ist. Zusätzlich lässt sich dort die Reha-Maßnahme stationär beginnen und bei weiterer Stabilisierung ambulant fortsetzen, was ein Zeichen für die Flexibilisierung der Rehabilitation ist. Hinzukommen eigenständige ambulante Reha-Zentren, die überwiegend in Ballungszentren zu finden sind, da sie eine große Zahl an Patienten erreichen können. Ein weiterer Ansatz bietet die mobile Rehabilitation, in der das Reha-Team zum Patienten nach Hause kommt.

„Ambulant vor stationär“

Körperliche, geistige, soziale und beruflichen Fähigkeiten zu entwickeln sind Voraussetzungen dafür, dass Menschen mit Behinderungen den gleichberechtigten Zugang zu Umwelt, Information, Bildung, Arbeit, Gesundheit und Rehabilitation auch schaffen. Das sind Herausforderungen, denen sich die Planung und Organisation moderner Reha-Strukturen stellen muss. Auch wenn ambulante und stationäre Rehabilitation gleichwertig nebeneinander stehen, verbindet sich mit dem Grundsatz „ambulant vor stationär“ seit einigen Jahren der Ansatz einer Flexibilisierung von Reha-Leistungen. „Ambulantisierung“ meint den Prozess der Überführung von stationären Einrichtungsstrukturen in ambulante Unterstützungsformen. Selbst wenn viele stationäre Maßnahmen notwendig sind und bleiben, steht der Begriff für den Prozess der Verlagerung sozialer und gesundheitlicher Versorgungsleistungen aus dem stationären in den ambulanten Sektor. Im Sinne der UNBRK sollen Menschen mit Behinderung in die Lage versetzt werden, ein Höchstmaß an Unabhängigkeit und Selbstbestimmung zu erreichen. Der Ausbau ambulanter Rehabilitationsstrukturen ist eine folgerichtige Reaktion auf die gesellschaftlichen Entwicklungen, wie die Zunahme chronischer und multimorbider Krankheiten, einer steigenden Zahl älterer Menschen und die Verlängerung der Lebensarbeitszeit. Flexible Behandlungsmöglichkeiten sind notwendig, um die Behandlung den Erfordernissen des Einzelfalls mit all seinen physischen, psychischen und sozialen Aspekten anzupassen. Dass hier etwas passiert, zeigt schon die Statistik. Gegenwärtig findet im Bereich der Deutschen Rentenversicherung etwa jede achte Rehabilitationsmaßnahme ambulant statt, nachdem Mitte der 1990er-Jahre medizinische Rehabilitation fast ausschließlich stationär war. Die absolute Anzahl der ambulanten Leistungen hat sich alleine bei der Rentenversicherung von 2000–2014 mehr als verfünffacht, während die der stationären Leistungen nur geringfügig anstieg. Dadurch erhöhte sich der Anteil ambulanter Leistungen an der Gesamtheit von 3 % im Jahr 2000 auf 14 % im Jahr 2014 (Quelle: Deutsche Rentenversicherung, Reha-Bericht 2015, s. Abbildung,).

BTHG und Ambulantisierung

Mit dem Entwurf des Bundesteilhabegesetz (BTHG), das zu Beginn des kommenden Jahres in Kraft treten soll, wird die Ambulantisierung weiter befördert. Im BTHG sollen Regelungen verankert werden, die das Recht von Menschen mit Behinderung auf eine selbstbestimmte Lebensführung weiter bestärken. So soll auch die freie Wahl des Wohnraumes und -umfelds und der Umfang der erwünschten Hilfeleistungen gewährleistet werden. Das Motto „ambulant vor stationär“ könnte viele stationäre Wohnstätten vor die Frage stellen: Wann ist eine Umstrukturierung in ein ambulantes Angebot sowohl mit Blick auf den Betreuungsbedarf der Klienten als auch unter dem Aspekt der Wirtschaftlichkeit sinnvoll?

Künftig keine Unterscheidung zwischen ambulant und stationär in der Eingliederungshilfe

Das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) verweist darauf, dass die Unterscheidung zwischen ambulanter und stationärer Leistungserbringung künftig wegfällt: „Mit der Neuausrichtung der Eingliederungshilfe von einer überwiegend einrichtungszentrierten zu einer personenzentrierten Leistung wird die notwendige Unterstützung nicht mehr an einer bestimmten Wohnform, sondern nur noch am notwendigen individuellen Bedarf ausgerichtet sein. Damit entfällt die bisherige Differenzierung in ambulante und stationäre Leistungen der Eingliederungshilfe. Ziel des BTHG ist, in Zukunft Leistungen nach dem individuellen Bedarf auszurichten. Mit dem Gesamtplanverfahren, der unabhängigen Beratung und dem offenen Leistungskatalog der Sozialen Teilhabe werden die Voraussetzungen dafür geschaffen. Es wird daher erwartet, dass dies zu einer weiteren Stärkung des Wohnens im ambulanten Bereich führt.“ (BMAS)

Der Deutsche Behindertenrat billigt in seiner Stellungnahme zum BTHG zwar die guten Ansätze des Gesetzentwurfs, sie gehen ihm aber nicht weit genug. Die Gesetzesbegründung versuche, den bisherigen Grundsatz „ambulant vor stationär“ weiter zu betonen, um Personen, die seit vielen Jahren ambulante Leistungen beziehen, nicht aus der eigenen Wohnung ins Heim zu drängen. Der Ansatz sei richtig, jedoch nicht ausreichend. „Der Grundsatz ambulant vor stationär, der bislang im SGB XII gilt, muss seiner Zielsetzung nach ins SGB IX übernommen werden, um das Recht auf eine eigene Häuslichkeit für behinderte Menschen abzusichern.“ (DBR, Stellungnahme zum BTHG)

Wie muss ein funktionierendes System ambulanter Organisationsstrukturen ausgestattet sein?

In den letzten Jahren ist viel Bewegung in die Entwicklung ambulanter Reha und ambulanter Hilfen gekommen. Im Entwurf des BTHG wird der Ansatz „ambulant vor stationär“ betont und auch die Leistungsträger sehen großes Potenzial in dieser Angebotsform. Welche Voraussetzungen müssen aber vorhanden sein bzw. geschaffen werden, damit die ambulante Angebotsstruktur den Herausforderungen gewachsen ist? Ambulante Reha und ambulante Hilfen eröffnen durch ihre Wohnortnähe bereits die Möglichkeit, Angehörige oder Bezugspersonen stärker einzubeziehen. Rehabilitationsergebnisse können so schon frühzeitig in den Alltag transferiert werden, z. B. durch Therapieeinheiten in der Wohnung oder am Arbeitsplatz. Um behinderten Menschen im Sinne der UN-BRK gleiche Teilhabechancen zu eröffnen, müssen ambulante Hilfestrukturen angemessen ausgestaltet und weiterentwickelt werden. Dazu gehören eine individuelle Begleitung in allen Lebenslagen, etwa durch Beratung und Peer Counseling in angemessener Qualität (siehe dazu „Trägerübergreifende Beratungsstandards“ der BAR), Familienunterstützung, persönliche Assistenz, unterstütztes Wohnen und die Netzwerke in der Kommune. Um bei der Vielfalt an Hilfen vergleichbare Anforderungen an ambulante Rehabilitationseinrichtungen zu stellen, werden in den BAR-Rahmenempfehlungen zur ambulanten medizinischen Rehabilitation (www.bar-frankfurt.de) allgemein personelle, räumliche und apparative Grundsätze und Voraussetzungen formuliert. Der Allgemeine Teil wurde 2016 überarbeitet. Bis 2018 sollen zusätzlich die indikationsspezifischen Rahmenempfehlungen zu muskuloskeletalen, neurologischen und kardiologischen Erkrankungen aktualisiert werden. Eine erfolgreiche ambulante medizinische Rehabilitation funktioniert nur dann, wenn sowohl die individuellen Voraussetzungen stimmen als auch eine adäquate Angebotsstruktur vorhanden ist. Sicher ist: Wenn es darum geht, bei Verfahren von Reha und Teilhabe früh und pragmatisch zu handeln, wenn es darum geht über mehr Selbstbestimmung und unabhängige Beratung zu mehr Teilhabe und Möglichkeiten zu kommen, dann ist ambulante Rehabilitation ein wichtiger Baustein in der Angebotsstruktur. Eine erfolgreiche ambulante medizinische Rehabilitation funktioniert nur dann, wenn sowohl individuelle Voraussetzungen vorliegen und diese auf eine flexible und breite Angebotsstruktur treffen. Sicher ist: Wenn es darum geht, bei Verfahren von Reha und Teilhabe früh und pragmatisch zu handeln, wenn es darum geht über mehr Selbstbestimmung und Beratung zu mehr Teilhabe zu kommen, dann stellt die ambulante Rehabilitation einen zentralen Baustein im Reha-Angebot aller Akteure dar. Ebenso wie die Ambulantisierung in allen Lebenslangen zu mehr Flexibilität, Mit- und Selbstbestimmung und somit zu erfolgreiche(re)n Rehabilitation beitragen wird.

Mobile Reha – neue Entwicklungen

Die meisten Menschen, die eine Rehabilitationsmaßnahme benötigen, können diese in einer Rehabilitationsklinik oder in einer ambulanten Rehabilitationseinrichtung am Wohnort in Anspruch nehmen. Es gibt allerdings Patienten, die mit diesen Angeboten nicht erreicht werden können. Dies sind z. B. Menschen, die wegen einer Demenzkrankheit auf die ständige Anwesenheit eines Angehörigen angewiesen sind oder deren Wohnumfeld speziell für ihre Behinderungsart eingerichtet ist.
Für solche Versorgungsbedarfe sollen mobile Rehabilitationsmaßnahmen in den Wohnungen (auch in Pflegeheimen) der Rehabilitanden angeboten werden. Mobile Rehabilitationsangebote sind noch nicht sehr verbreitet und nicht überall verfügbar. Der GKV-Spitzenverband und die Verbände der Krankenkassen auf Bundesebene haben deshalb am 5. April 2016 die Eckpunkte für die mobile indikationsspezifische Rehabilitation verabschiedet.
Diese sind Umsetzungsempfehlungen für die Krankenkassen zur besseren Umsetzung des Anspruchs auf mobile Rehabilitationsmaßnahmen. Sie enthalten die sozialmedizinischen Definitionen, bei denen mobile Rehabilitationsmaßnahmen in Betracht kommen, und die Anforderungen an die Leistungserbringer, die diese Maßnahmen anbieten möchten.