Gleichbehandlung schwerbehinderter Menschen im Arbeitsleben

Orientierungssätze*

  • Lädt ein öffentlicher Arbeitgeber einen schwerbehinderten Bewerber entgegen § 82 Satz 2 SGB IX nicht zu einem Vorstellungsgespräch ein, begründet dies die Vermutung, dass eine Diskriminierung iSv § 7 AGG wegen Behinderung vorliegt.
  • Bei der Beurteilung, ob eine Einladung des Bewerbers nach § 82 Satz 3 SGB IX unterbleiben kann, weil seine fachliche Eignung offensichtlich fehlt, sind insbesondere die Angaben in der Bewerbung mit Blick auf die Stellenausschreibung ausschlaggebend.

BAG, Urteil vom 11.08.2016, Az.: 8 AZR 375/15
*Orientierungssätze auf Basis der Pressemitteilung Nr. 42/16 des Bundesarbeitsgerichts v. 11.8.2016

Sachverhalt und Entscheidungsgründe

Die beklagte Stadt schrieb Mitte 2013 die Stelle eines „Techn. Angestellte / n für die Leitung des Sachgebiets Betriebstechnik“ aus. In der Stellenausschreibung heißt es u. a.: „Wir erwarten: Dipl.-Ing. (FH) oder staatl. gepr. Techniker / in oder Meister / in im Gewerk Heizungs- / Sanitär- / Elektrotechnik oder vergleichbare Qualifikation; [...]“. Der schwerbehinderte Kläger, ausgebildeter Zentralheizungs- und Lüftungsbauer sowie staatlich geprüfter Umweltschutztechniker im Fachbereich „Alternative Energien“, bewarb sich auf die ausgeschriebene Stelle unter Beifügung eines ausführlichen Lebenslaufes. Die Beklagte lud den Kläger nicht zu einem Vorstellungsgespräch ein und entschied sich für einen anderen Bewerber. Der Kläger sah hierin eine Diskriminierung wegen Verletzung der Pflicht der Beklagten nach § 82 SGB IX, schwerbehinderte Bewerber grundsätzlich zum Vorstellungsgespräch einzuladen. Er verlangte die Zahlung einer Entschädigung
(§ 15 Abs. 2 AGG). Die Beklagte argumentierte mit einer vorgeblich offensichtlich fehlenden fachlichen Eignung des Klägers für die zu besetzende Stelle. In den ersten beiden Instanzen hatte der Kläger im Wesentlichen Erfolg. Die Revision der Beklagten wies das BAG zurück. Dass der Kläger nicht zum Vorstellungsgespräch eingeladen worden sei, begründe die Vermutung, dass er wegen seiner Schwerbehinderung aus dem Auswahlverfahren vorzeitig ausgeschieden und dadurch benachteiligt worden sei (§§ 1 ff. AGG). Auch liege kein Ausnahmefall nach
§ 82 Satz 3 SGB IX vor (offensichtlich fehlende Eignung). Denn die Beklagte durfte nach den Angaben des Klägers in seiner Bewerbung nicht davon ausgehen, dass diesem die erforderliche fachliche Eignung offensichtlich fehlte.

Das BAG hat die Anforderungen an den Ausnahmefall offensichtlich fehlender Eignung präzisiert und damit den besonderen Schutz von Menschen mit Behinderungen im öffentlichen Dienst erneut bestätigt (vgl. insoweit auch bereits BAG v. 22.8.2013–8 AZR 563/12). Für private Arbeitgeber besteht zwar keine gesetzliche Pflicht, schwerbehinderte Bewerber zu einem Vorstellungsgespräch einzuladen. Aber auch sie haben bei der Besetzung einer Stelle bestimmte Verfahrensschritte einzuhalten. Insbesondere müssen sie nach § 81 Abs. 1 S. 4
SGB IX die Schwerbehindertenvertretung sowie Betriebsrat bzw. Personalvertretung unverzüglich über den Eingang einer entsprechenden Bewerbung benachrichtigen. Ein Verstoß gegen diese Pflicht kann nach der Rechtsprechung des BAG (vgl. Urt. v. 17.8.2010–9 AZR 839/08) ebenfalls ein Indiz für eine Diskriminierung des Bewerbers darstellen. Überdies sollten alle Arbeitgeber schon bei der Ausschreibung einer Stelle auf diskriminierungsfreie Formulierung achten.