Rehabilitation als mögliches Mittel zur Kündigungsvermeidung

■ Orientierungssätze*
1. Zu einem ordnungsgemäßen Betrieblichen Eingliederungsmanagement (BEM) nach § 84 Abs. 2 SGB IX gehört u. a., dass der Arbeitnehmer auf die damit verfolgten Ziele sowie Art und Umfang der dafür erhobenen und verwendeten Daten hingewiesen wird.
2. Hat der Arbeitgeber kein BEM durchgeführt, muss er zur Darlegung der Verhältnismäßigkeit einer krankheitsbedingten Kündigung nicht nur die objektive Nutzlosigkeit arbeitsplatzbezogener Maßnahmen aufzeigen. Er muss zudem darlegen, dass künftige Fehlzeiten auch durch gesetzlich vorgesehene Leistungen der Rehabilitationsträger nicht relevant hätten vermindert werden können.
BAG, Urteil vom 20.11.2014, Az.: 2 AZR 755 / 13
*Leitsätze des Gerichts und Orientierungssätze nach JURIS, jeweils redaktionell abgewandelt

Sachverhalt und Entscheidungsgründe
Die AU-Zeiten des seit 1991 beim Beklagten Beschäftigten summierten sich zuletzt auf 125 Tage jährlich. Zwischenzeitlich erfolgte betriebsärztliche Untersuchungen ergaben keine Hinweise darauf, dass die krankheitsbedingten Fehlzeiten mit dem Arbeitsplatz zusammenhängen. Ende 2011 erfolgte die krankheitsbedingte Kündigung. Die Kündigungsschutzklage hatte in der Vorinstanz und vor dem BAG Erfolg. Vor dem Hintergrund, dass kein BEM durchgeführt wurde, verneint das BAG die nach § 1 KSchG erforderliche Verhältnismäßigkeit der Kündigung. Der Arbeitgeber hat nicht ausreichend dargelegt, dass kein milderes Mittel in Betracht kommt. Trotz des Wortlauts des § 1 Abs. 2 Satz 2 KSchG können nicht nur arbeitsplatzbezogene Maßnahmen, sondern auch die Eröffnung der Chance für spezifische personenbezogene Maßnahmen, hier im Sinne von gesundheitlicher Prävention, Behandlung oder Rehabilitation, mildere Mittel sein. Dass mildere Mittel nicht zur Verfügung stehen, kann der Arbeitgeber grundsätzlich nicht ausreichend darlegen, wenn kein BEM durchgeführt wurde. Die im konkreten Fall erfolgten arbeitsmedizinischen Untersuchungen entsprachen – trotz teilweise entsprechender Bezeichnung – nicht den Mindeststandards eines BEM. Ein BEM ist allerdings nicht obligatorisch, wenn es von vornherein aussichtslos ist. Dies war hier vorgetragen, aber nicht ausreichend begründet worden. Insbesondere reichten dafür die vorliegenden betriebsärztlichen Stellungnahmen nicht aus. Denn sie fokussierten auf die betriebsärztlichen Aufgaben nach dem ASiG. Mithin waren weitergehende Erkenntnisse bei Durchführung eines ordnungsgemäßen BEM nicht ausgeschlossen. Vor diesem Hintergrund konkretisiert das Gericht, welche gesundheitlichen Maßnahmen zu berücksichtigen sind, wenn die etwaige Aussichtslosigkeit eines BEM geprüft wird. Dabei kann sich der Arbeitgeber auf den ihm zumutbaren Prüfungsumfang beschränken. Zumutbar ist die Beachtung solcher Maßnahmen, deren Zweckmäßigkeit hinreichend gesichert ist und deren Durchführung überprüft werden kann. Dies trifft laut BAG auf die gesetzlich vorgesehenen Leistungen und Hilfen zur Prävention und / oder Rehabilitation typischerweise zu.
Mit der Entscheidung fasst das BAG etablierte Mindeststandards des BEM zusammen und verdeutlicht das Potenzial, das Rehabilitationsleistungen zur Vermeidung krankheitsbedingter Kündigungen haben können. Zudem wird die Rolle des Betriebsarztes im Kontext des BEM in Teilen präzisiert. Zur Entscheidung diesbezüglicher weiterer Fragen, so u. a. zur Möglichkeit einer Übertragung der Durchführung und Leitung des BEM durch den Arbeitgeber auf den Betriebsarzt, bot der Rechtsstreit keinen Anlass.