Stufenweise Wiedereingliederung schwerbehinderter Beschäftigter

Orientierungssätze *

  • Aus dem Rechtsanspruch schwerbehinderter Menschen auf Beschäftigung kann sich für Arbeitgeber auch die Verpflichtung zur Beschäftigung entsprechend den Vorgaben eines Wiedereingliederungsplans ergeben.
  • Der Arbeitgeber darf die stufenweise Wiedereingliederung bei begründeten Zweifeln an der Geeignetheit des Wiedereingliederungsplans ausnahmsweise ablehnen.
  • Es kann geboten sein, begründete Zweifel dadurch auszuräumen, dass sich Betriebsarzt und behandelnder Arzt hinsichtlich krankheitsbedingter  Leistungseinschränkungen verständigen.

Bundesarbeitsgericht (BAG), Urteil v. 16.05.2019, Az.: 8 AZR 530/17
* Leitsätze oder Entscheidungsgründe des Gerichts bzw. Orientierungssätze nach JURIS, redaktionell abgewandelt und gekürzt

Sachverhalt und Entscheidungsgründe

Der als schwerbehindert (GdB 70) anerkannte, bei der beklagten Stadt beschäftigte Kläger war über einen längeren Zeitraum (wiederholt) erkrankt. Nach erfolgter Untersuchung befürwortete die Betriebsärztin eine stufenweise Wiedereingliederung mit bestimmten Tätigkeitseinschränkungen. Den vom Kläger ursprünglich vorgelegten Wiedereingliederungsplan seines behandelnden Arztes, der die Wiedereingliederung in die zuletzt ausgeübte Tätigkeit ohne Einschränkungen vorsah, und den darauf gründenden Antrag auf stufenweise Eingliederung lehnte die Beklagte zunächst ab. Einem später vorgelegten zweiten Wiedereingliederungsplan stimmte sie nach erneuter – nun positiver – Beurteilung durch die Betriebsärztin zu. Diese Wiedereingliederung war erfolgreich. Für den dazwischen liegenden Zeitraum begehrt der Kläger Ersatz seines Verdienstausfalls. Nach Klageabweisung in erster Instanz war der Kläger in zweiter Instanz im Wesentlichen erfolgreich. Der Revision der Beklagten hat das BAG stattgegeben und dies wie folgt begründet: Bei einem schwerbehinderten oder diesem gleichgestellten Arbeitnehmer kann der Arbeitgeber nach § 81 Abs. 4 S. 1 SGB IX a.F. (jetzt: § 164 Abs. 4 S. 1 SGB IX) grundsätzlich verpflichtet sein, an einer Maßnahme der stufenweisen Wiedereingliederung mitzuwirken und den Arbeitnehmer entsprechend dem Wiedereingliederungsplan zu beschäftigen. Die  Verletzung der Mitwirkungspflicht kann einen Schadensersatzanspruch des Arbeitnehmers nach § 280 Abs. 1 oder auch § 823 Abs. 2 BGB, jeweils iVm. § 81 Abs. 4 S. 1 SGB IX a.F.  begründen. Voraussetzung für den Beschäftigungsanspruch im Rahmen einer stufenweisen Wiedereingliederung ist jedoch, dass der Arbeitnehmer dem Arbeitgeber eine nach bestimmten Vorgaben erstellte ärztliche Bescheinigung seines behandelnden Arztes vorlegt. Dies war vorliegend zwar erfolgt, jedoch hat die Beklagte den zuerst gestellten  Wiedereingliederungsantrag wegen besonderer Umstände ausnahmsweise ablehnen dürfen: Aufgrund der betriebsärztlichen Beurteilung und der darin aufgezählten Tätigkeitseinschränkungen durfte die Beklagte befürchten, dass die begehrte Wiedereingliederung ihr Ziel verfehlen und dem Kläger nachteilige gesundheitliche Folgen erwachsen würden. Die Zweifel der Beklagten an der Geeignetheit des Wiedereingliederungsplanes ließen sich auch nicht bis zum vorgesehenen Beginn ausräumen.
Das BAG verdeutlicht, dass ein Beschäftigungsanspruch im Rahmen einer stufenweisen Wiedereingliederung entsprechend den Vorgaben eines Wiedereingliederungsplans individuell, unter Berücksichtigung  der ärztlichen Bescheinigung und ggf. betriebsärztlichen Beurteilung zu prüfen ist. Zudem wird aus der Entscheidung deutlich, dass – anders als aus § 81 Abs. 4 S. 1 SGB IX – aus § 84 Abs. 2 SGB IX a.F. (§ 167 Abs. 2 SGB IX, sog. BEM) kein Anspruch auf tatsächliche Beschäftigung entsprechend den Vorgaben eines Wiedereingliederungsplanes folgt.
Zum Beschäftigungsanspruch nach § 164 Abs. 4 SGB IX, wenn unternehmerische Organisationsentscheidungen zum Wegfall des Arbeitsplatzes führen sollen, vgl. im Übrigen die aktuelle Entscheidung des BAG vom 16.05.2019 – Az.: 6 AZR 329/18.