Hilfsmittel in der gesetzlichen Krankenversicherung - Fingerendgliedprothese

Orientierungssätze*

  • Für eine Fingerendgliedprothese, die keine (wesentlichen) Gebrauchsvorteile bietet, keine Teilhabebeeinträchtigung ausgleicht und deren Vorteile sich letztlich auf einen besseren Komfort und eine bessere Optik beschränken, ist die gesetzliche Krankenkasse auch dann nicht zur Leistung verpflichtet, wenn durch die Prothese unmittelbar ein fehlendes Körperteil ersetzt wird.
    BSG, Urteil vom 30.09.2015 Az.: B 3 KR 14/14 R

*Hier: Leitsatz des Gerichts laut JURIS, redaktionell angepasst

Sachverhalt und Entscheidungsgründe

Die Klägerin beantragte bei der beklagten Krankenkasse die Versorgung mit einer individuell angefertigten Silikonfingerprothese für ihr amputiertes Zeigefingerendglied. Sie arbeite mit  Kundenkontakt am Flughafenschalter, bei verschiedenen Tätigkeiten des täglichen Lebens sei sie durch das fehlende Fingerglied beeinträchtigt, weshalb die Silikonprothese einen erheblichen Funktionsgewinn biete. Ein Gutachten des MDK kam zu dem Ergebnis, dass die Klägerin durch das fehlende Fingerendglied nicht wesentlich beeinträchtigt sei und die Prothese funktionell weitgehend unbedeutend bleibe. Die Klage wurde in den Vorinstanzen abgewiesen. Auch die Revision vor dem BSG blieb erfolglos.
Die Voraussetzungen des § 33 Abs. 1 Satz 1 SGB V iVm § 31 Abs. 1 SGB IX seien nicht erfüllt. Denn die begehrte Fingerendgliedprothese diene im Ergebnis weder der Vorbeugung einer drohenden  Behinderung noch dem Ausgleich einer Behinderung noch der Sicherung des Erfolgs einer  Krankenbehandlung. Im Hinblick auf den in Betracht kommenden Behinderungsausgleich wird die Fingerendgliedprothese dem Grunde nach als sog. unmittelbarer Behinderungsausgleich eingeordnet. Dieser ist nach ständiger Rechtsprechung innerhalb der krankenversicherungsrechtlichen Grenzen des § 12 SGB V (ausreichend, zweckmäßig und wirtschaftlich) grundsätzlich auf vollen Ausgleich der beeinträchtigten Funktion ausgerichtet. Weiterhin legt das BSG seiner Betrachtung den  Behinderungsbegriff des § 2 Abs. 1 SGB IX sowie der UN-Behindertenrechtskonvention (Art. 1 Abs. 2) zu Grunde. Dabei führt es u.a. aus, dass zwar die Regelwidrigkeit und die Funktionsstörung nach medizinischen Maßstäben zu beurteilen sei, die Beeinträchtigung der Teilhabe jedoch auch nach soziologischen und pädagogischen Maßstäben bestimmt werden könne. Auf dieser gedanklichen Basis zieht es einen Vergleich mit der für die Feststellung des GdS und des GdB herangezogenen Anlage zu § 2 der Versorgungsmedizin-Verordnung. Wenn danach schon der Verlust eines Daumenendglieds nicht zu einem GdS/GdB führe, so könne auch der Verlust eines Zeigefingerendglieds allenfalls zu minimalen Funktionsbeeinträchtigungen führen. Diese könnten durch die begehrte Prothese nicht vollumfänglich und nicht besser als durch z.B. eine Schutzkappe ausgeglichen werden. Etwaige Wechselwirkungen mit Barrieren, die zu einer Behinderung führen könnten, waren nach Einschätzung des Gerichts nicht ersichtlich. Auch hinsichtlich möglicher Schmerzen hält das Gericht die Versorgung mit einer Schutzkappe für ausreichend. Zudem stelle der Verlust eines Zeigefingerendglieds auch keine erhebliche oder außergewöhnliche äußerliche Auffälligkeit dar, die als Behinderung hätte eingestuft werden können.
Mit der vorliegenden Entscheidung präzisiert das BSG den Umfang des Anspruchs auf  Hilfsmittelversorgung in der gesetzlichen Krankenversicherung auf Basis seiner bisherigen Rechtsprechung (z.B. Urteil v. 22.04.2015 – B 3 KR 3/14 R). Besonders deutlich wird, dass sich die Beurteilung der Anspruchsvoraussetzungen neben den konkreten Anspruchsgrundlagen des SGB V vor allem auch an den Begriffsdefinitionen des SGB IX und der UN-BRK zu orientieren hat.