Der Reha-Prozess als "Roadmap" zum Reha-Erfolg - am Anfang steht der Bedarf

Rehabilitation ist immer in die Zukunft gerichtet. Sie hat ein Ziel, das in einer bestimmten Abfolge von Schritten eines Reha-Verfahrens erreicht werden soll. Beschreibbar als idealtypischer Prozess mit definierten Phasen ist die Rehabilitation das Mittel zur Herstellung und Sicherung individueller Teilhabe von Menschen mit Behinderung. Von der Erkennung und Feststellung des Reha-Bedarfs bis zur Ausführung einer Leistung für Reha und Teilhabe kann es ein weiter Weg sein. Im deutschen Rehabilitationssystem gibt es nicht die Instanz, die den Reha-Bedarf erkennt, feststellt und Leistungen gewährt. Es gibt kein Patent-Rezept, keine einheitliche Festlegung von Anforderungen, Instrumenten oder Verfahren der Bedarfsermittlung und Planung der Leistungserbringung. An vielen Stellen dieses Prozesses sind individuelle Feststellungen und Entscheidungen zu treffen. Das Ziel muss sein, den Rehabilitationsbedarf möglichst frühzeitig zu erkennen, den Unterstützungsbedarf umfassend zu bestimmen, die geeigneten Leistungen festzulegen und hierfür die richtigen Leistungserbringer zu finden. Nur so können beispielsweise Verschlimmerung und Chronifizierung von Erkrankungen, gesundheitsbedingte Erwerbsminderung oder Pflegebedürftigkeit verhindert werden. Gerade in der Praxis wird oft deutlich, dass es an all diesen Weggabelungen holprig werden kann. Die Fragen müssen lauten: Treffen unsere Reha-Angebote immer den individuellen Bedarf der Menschen? Erreichen wir sie zum richtigen Zeitpunkt? Und darüber hinaus: Welche Barrieren existieren bei der Erkennung eines Bedarfs? Sind es Kommunikations- und Kooperationsbarrieren zwischen den Akteuren oder Wissensdefizite bzgl. der Bedarfserkennung und Einleitung von Reha-Maßnahmen? Es gibt verschiedene Faktoren, die für den Rehabilitationszugang relevant sind. Sicher kann die Eigeninitiative und Inanspruchnahme der Betroffenen eine Rolle spielen, aber auch die Anregung und Unterstützung bei der Antragsstellung durch einen Arzt kann ausschlaggebend sein. Darüber hinaus sind auch die Entscheidungsverfahren und -maßstäbe der Träger und die damit verbundene akteursübergreifende Kommunikation und Kooperation wichtige Faktoren.
Grundsätzlich ist im Versorgungssystem sicherzustellen, dass erste Anhaltspunkte für einen möglichen Rehabilitationsbedarf erkannt und überprüft werden. Diese können beispielsweise das Vorliegen einer chronischen Erkrankung, Multimorbidität, (drohende) Behinderung, (drohende) Pflegebedürftigkeit oder auch besonders belastende Arbeits- und Lebensbedingungen sowie ein längerer Krankenhausaufenthalt sein. Unter „Bedarfserkennung“ werden die Aktivitäten gefasst, die im Vorfeld eines Antrags auf Leistungen zur Teilhabe erfolgen. Neben den Rehabilitationsträgern und den Menschen mit (drohender) Behinderung selbst, sind hierbei insbesondere deren soziales Umfeld, die betrieblichen Akteure und Akteure der medizinisch-therapeutischen Versorgung (z. B. niedergelassene Ärzte) miteinzubeziehen. Die Bedarfserkennung als Einleitung von Leistungen zur Teilhabe ist der Startpunkt für eine erfolgversprechende Reha und damit besonders wichtig. Um den potentiellen Bedarf an Teilhabeleistungen zu erkennen, sollte der Einsatz ICF-orientierter Instrumente möglichst trägerübergreifend weiterentwickelt werden. Die Gemeinsame Empfehlung (GE) Reha-Prozess der BAR beschreibt den idealtypischen Reha-Prozess mit einem Phasenmodell (Abb. 1). Die Phasen des Rehabilitationsprozesses sind linear aufgebaut, berücksichtigen aber bestehende Überschneidungen und Parallelitäten. So kann sich die Bedarfserkennung auch über die jeweils nachfolgenden Phasen erstrecken, etwa bei der Fortschreibung/Anpassung des Teilhabeplans, indem Bedarfe erneut überprüft
werden müssen. Oder während der Leistungsdurchführung, beispielsweise der medizinischen Rehabilitation, können sich Hinweise auf weiteren Bedarf, wie Leistungen zur Teilhabe am Arbeitsleben, ergeben. Anhaltspunkte für einen Bedarf an Leistungen zur Teilhabe sind, neben den zugrundeliegenden Schädigungen und Funktionsstörungen des Körpers (einschließlich psychischer Störungen), auch auf der Ebene der Aktivitäten und der Teilhabe zu identifizieren. Ein großes Problem unseres Gesundheits- und Sozialsystems besteht darin, dass Anzeichen für einen Rehabilitationsbedarf oftmals nicht oder nicht frühzeitig erkannt werden. Das Erkennen von Bedarfen alleine reicht allerdings nicht aus: Leistungen zur Teilhabe werden zumeist nur auf Antrag erbracht. Ob ein Antrag gestellt wird, hängt von der erkrankten Person oder seinem behandelnden Arzt ab. Hier spielt oft der Zufall eine große Rolle: Kommt ein Reha-Verfahren überhaupt und dann auch noch zum richtigen Zeitpunkt in Gang? Genau dieses Ziel muss aber im Vordergrund stehen und deshalb sollte Reha proaktiver werden, indem sie den Menschen abholt.


Zentrale „Gatekeeper“ im Zugang zu rehabilitativen Leistungen
Erste Schritte in diese Richtung sind beispielsweise die integrierte Versorgung, bei der eingebundene Hausärzte, eine Art „Gatekeeper“-Funktion ausüben können. Um die Früherkennung und Vermeidung von Gesundheits- und Teilhabestörungen aktiv zu lenken, ist eine hohe Sensibilität für einen möglichen Rehabilitationsbedarf gefordert. Hierauf sollten die Fallmanagement-Strukturen der Reha-Träger verstärkt fokussieren: Ganz im Sinne der Personenzentrierung die Beratung und Betreuung auf den Bedarf der Menschen mit Behinderung, ihre Angehörigen und Arbeitgeber ausrichten. Auf Basis eines Fallmanagements könnte eine sorgfältige Feststellung der Problemlagen erfolgen, sodass dann passgenaue und notwendige Hilfestellungen vereinbart werden können. Gerade die Beratung hat einen maßgeblichen Einfluss auf den Gesamtprozess der Rehabilitation. Kompetente Beratung ist entscheidend wenn es darum geht, einen frühzeitigen und niederschwelligen Zugang zu Rehabilitationsleistungen zu ermöglichen. Die BAR und die Rehabilitationsträger haben gemeinsam mit Verbänden für Menschen mit Behinderung und weiteren Organisationen trägerübergreifende Beratungsstandards erarbeitet. Diese können sowohl Grundlage einer unabhängigen und fachlich kompetenten Information und Beratung, als auch bei der Bedarfserkennung hilfreich sein. Die Bedarfsermittlung selbst soll auf der konzeptionellen Grundlage der ICF erfolgen, sich am individuellen Hilfebedarf und den vorhandenen persönlichen Ressourcen orientieren. Dabei muss sie die Kontextfaktoren berücksichtigen und den Hilfebedarf zunächst unabhängig von leistungsrechtlichen Fragen ergebnisoffen ermitteln.

Zukünftige Herausforderungen
Für die Leistungsträger ergeben sich schon durch die mangelnde Systematik zur Erkennung des Rehabilitationsbedarfs Probleme. Aber auch das häufig noch unzureichende Wissen der niedergelassenen Ärzte über die Beantragung einer Leistung zur Teilhabe ist optimierungsbedürftig. Niedergelassenen Ärzten fehlt die Zeit, um umfangreiche und je nach Leistungsträger unterschiedliche Formulare zu bearbeiten. Oft herrscht für Ärzte, Klinikmitarbeiter und auch für die Rehabilitanden Unklarheit über die beim Reha-Träger zuständigen Ansprechpartner. Unterschiedliche trägerspezifische Verfahrensregularien verursachen nicht selten Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit, die den Reha-Prozess prägen. Teils kommen ungeklärte Zuständigkeiten bei der Beantragung von Rehabilitationsmaßnahmen und lange Wartezeiten hinzu. Die lösungsorientierte Fokussierung von Schnittstellenproblemen und die gemeinsame Erarbeitung von Handlungsstrategien sollen daher die formalen Abläufe weiter optimieren, die inhaltliche Transparenz erhöhen und den Austausch zwischen allen Beteiligten verstärken. Deutlich wird, dass hier noch ein umfangreicher Handlungs- und Forschungsbedarf besteht. Besonders die Notwendigkeit einer eindeutigen, operationalen Definition von Reha-Bedarfskriterien ist entscheidend, wie auch die Steigerung von Transparenz und Nachvollziehbarkeit im Verwaltungsverfahren. Was aber unverzichtbar ist, um den Reha-Prozess „wie aus einem Guss“ zu realisieren, ist die weitere und intensive Förderung der Zusammenarbeit der verschiedenen am Rehabilitationsprozess beteiligten Akteure.