Eingliederungshilfe – Schulische Inklusion und Kosten einer Schulbegleitung

Orientierungssätze*

  • Der Kernbereich pädagogischer Arbeit (schulrechtliche Verpflichtung) in einer Regelschule ist nicht berührt, wenn eine Schulbegleitung für einen Menschen mit Behinderung die eigentliche pädagogische Arbeit der Lehrkraft nur flankierend absichert.
  • Soweit flankierende Tätigkeiten einer Schulbegleitung erforderlich sind, damit der Mensch mit Behinderung das pädagogische Angebot der Schule überhaupt wahrnehmen kann, liegen die Voraussetzungen der Eingliederungshilfe vor (Hilfe für eine angemessene Schulbildung).
  • Der Sozialhilfeträger ist dann jedenfalls nachrangig zuständig (sozialhilferechtliche Verpflichtung).

BSG, Urteil vom 9.12.2016, Az.: B 8 SO 8/15 R

Sachverhalt und Entscheidungsgründe

Die Klägerin, eine Schülerin mit Down-Syndrom (GdB 100 sowie Merkzeichen G und H), besuchte die Inklusionsklasse einer Regel-Grundschule. In der Klasse betreute eine Kooperationslehrerin des Sonderpädagogischen Zentrums das Mädchen. Wegen ihrer motorischen sowie Entwicklungs- und Kommunikationsbedarfe unterstützte sie außerdem ein Integrationshelfer als Schulbegleiter. Für diese Tätigkeit fielen im Schuljahr 2012/2013 Kosten iHv rd. 18 000 € an. Der beklagte Landkreis als Sozialhilfeträger übernahm die Kosten „vorläufig“, verneinte aber Zuständigkeit und Verpflichtung zur Kostentragung. Nach seiner Auffassung war der Schulträger zuständig. In letzter Instanz hat das BSG entschieden, dass der Schulträger für die streitgegenständliche Schulbegleitung nicht zuständig ist. Denn diese fällt nicht in den pädagogischen Kernbereich der Schule. Die Schulbegleitung betraf einen über den schulischen Kernbereich hinausgehenden Hilfebedarf, für den hier der Sozialhilfeträger als Träger der Eingliederungshilfe zuständig ist. Das stattgebende LSG-Urteil hat das BSG dennoch aufgehoben und der Vorinstanz aufgegeben, ergänzend Feststellungen zu treffen zum konkret erforderlichen Umfang der Hilfen und zur erforderlichen Höhe der Kosten des Schulbegleiters, damit diese entsprechend erstattet werden können.
Im Kern hat das BSG (erneut) festgestellt, dass der sog. „pädagogische Kernbereich“ nicht etwa schulrechtlich auf Ebene des jeweiligen Bundeslandes bestimmt wird, sondern - bundesweit einheitlich - sozialhilferechtlich. Er umfasst insbesondere die jeweiligen Unterrichtsinhalte, pädagogische Konzepte der Wissensvermittlung sowie die Leistungsbewertung. Die hier maßgebliche Schulbegleitung hingegen erbringt flankierende Maßnahmen, z.B. integrierende, beaufsichtigende und fördernde  Assistenzdienste.
Sie ist erforderlich, damit die Klägerin „das pädagogische Angebot der Schule überhaupt wahrnehmen  kann“, und mithin auch erforderlich, um die Behinderungsfolgen zu beseitigen oder zu mildern (§ 54 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SGB XII iVm § 12 EinglHV).
Folglich ist sie als (Eingliederungs-)Hilfe zur angemessenen Schulbildung einzuordnen, für die der Sozialhilfeträger jedenfalls nachrangig zuständig ist. Je nach Zuschnitt des Landesrechts kann zwar ein Nebeneinander von schul- und sozialhilferechtlichen Verpflichtungen der an der schulischen Inklusion von Kindern mit wesentlicher Behinderung (§ 2 Abs. 1 Satz 1 SGB IX iVm § 2 EinglVO) mitwirkenden Akteurskreise entstehen. Solange allerdings lediglich Verpflichtungen anderer Stellen bestehen, die Leistungen aber nicht erbracht werden, greift die nachrangige Zuständigkeit der Sozialhilfe, wie das BSG verdeutlicht.
Im Zusammenhang mit schulischer Inklusion kurz zu erwähnen ist auch der aktuelle (rechtskräftige) Beschluss des LSG Niedersachsen-Bremen vom 13.3.2017 - L 4 KR 65/17 B ER. Danach ist eine gesetzliche Krankenkasse gegenüber einem schwerbehinderten Schüler (schwere  Mehrfachbehinderung mit Epilepsie, GdB 100 sowie Merkzeichen G, H, RF und aG) auch dann zur Übernahme der Kosten für seine (medizinisch begründete) Begleitung auf dem Schulweg verpflichtet, wenn es sich hierbei eigentlich um eine Leistung der Sozialhilfe handelt; eine Schulwegbegleitung folge dessen Anspruch auf eine allgemeine Schulbildung.
Jedenfalls aber dürfe ein Zuständigkeitsstreit zwischen Trägern von Leistungen nicht zulasten des betroffenen Menschen gehen (Schutzzweck des § 14 SGB IX).