Beispiel "Lebenslage einer Familie"

Welche Möglichkeiten sich aus einer extremen, beinahe hoffnungslosen Lebenslage ergeben können, zeigt das Beispiel von Silvia Beiersdorf und ihrer Familie. Und vor allem zeigt es, dass es auch einem Menschen mit schwersten Beeinträchtigungen möglich ist, sich eine zufriedenstellende Lebensform zu sichern. Lebensqualität, Lebensfreude und Normalität sind hier keine beschönigenden Begriffe für eine Situation, die bei den Fachleuten von Anfang an als hoffnungslos galt. Sie sind vielmehr Ausdruck und Ergebnis einer konsequent individuellen Bedarfs- und Hilfeplanung orientiert an der Lebenslage eines verunglückten Menschen und seines Umfelds.
Vor 11 Jahren zog sich die damals 24-jährige Frau bei einem Unfall schwerste Schädel-Hirn-Verletzungen zu. „Körperlich nahm Silvia kaum Schaden“, sagt ihre Mutter, Jutta Beiersdorf. „Aber ihre Hirnverletzungen waren so schlimm, dass sie seitdem nicht mehr zusammenhängend reden oder sich Dinge länger merken kann.“ Seither ist einiges passiert, eine misslungene Reha wurde durch die Familie abgebrochen und niemand konnte sagen wie es weitergeht. Familie Beiersdorf war nach dem Unfall mit der Situation ziemlich allein. Die Eltern pflegten die Tochter, betreuten sie Tag und Nacht, kämpften um Kostenübernahmen. Frau Beiersdorf gab ihren Bank-Job sogar ganz auf. Schließlich setzte die Familie Silvias Anspruch auf ein Persönliches Budget durch. Statt in einem Heim, lebt die junge Frau heute in einer Einliegerwohnung im Haus der Eltern und wird von drei Assistentinnen betreut. Ihr Beispiel macht deutlich, dass es auch mit gravierenden Einschränkungen möglich ist, sich „aus eigenen Stücken“ neu zu orientieren.
Das Beispiel zeigt aber auch, welche Auswirkungen Verletzungen und Krankheiten bei den Betroffenen und  ihren Angehörigen auslösen. Die gesamte Lebenssituation des Menschen ist involviert, gerät in Schieflage.
Die Konsequenzen sind immens: Für Gesundheit, Arbeit, für die Seele und die Familie, das ganze soziale Wohlbefinden. Mittlerweile kommt die Familie mit der Situation ganz gut zurecht. Das Leben mit einem schwerstbehinderten Menschen ist immer eine Ausnahmesituation, aber, so Jutta Beiersdorf, „wir sind mit unserem Leben zufrieden und Silvias Teilhabe an allen Lebensbereichen, ob in der Familie oder in der Gesellschaft ist, denke ich, ganz gut umgesetzt. Silvia und alle übrigen Familienmitglieder sind gleichberechtigt.“ Silvia Beiersdorf und ihre Familie haben für sich einen Weg gefunden. Im Umgang mit einer solchen Extremsituation ist eine kompetente Beratung erforderlich, die die gesamte Lebenslage im Blick haben muss. Das ist auch für Jutta Beiersdorfer der springende Punkt: „Aus meiner Sicht müssen die Systeme genau hier ansetzen. Dazu gehört ein umfassendes und kompetentes Beratungsangebot, „um den Betroffenen eine Odyssee und Fehlwege durch die behördlichen Instanzen zu ersparen. Das heißt also, in dem Moment wo eine Hirnverletzung sichtbar wird, ob im Krankenhaus oder in der Reha-Klinik, muss eine konzentrierte Beratung folgen. Das ist mir ganz wichtig. Diese Beratung sollte auch die Autonomie einer Familie nicht aus den Augen verlieren. Jede Familie hatte eine persönliche Autonomie vor der Hirnverletzung oder vor dem Schlaganfall und möchte diese Autonomie danach wieder zurück haben. Das ist ein Punkt der ganz viel mit Selbstbestimmung zu tun hat.“
Wichtig ist, Versorgungslücken zu schließen und Unwissenheit zu beseitigen, egal mit welcher Beeinträchtigung. „Es ist ein Unding, dass sich die Familien da häufig alleine durchhangeln müssen, bevor irgendein System greift“, sagt Jutta Beiersdorf. Sie hat es sich zur Aufgabe gemacht, andere Angehörige auf ihrem Weg zu beraten und ihnen zu helfen.