Aktuelle Verfassungsrechtsprechung: Benachteiligungsverbot; Persönliches Budget

Orientierungssätze*
Das Verbot der Benachteiligung behinderter Menschen (Artikel 3 Abs. 3 Satz 2 GG) fließt auch in die Auslegung des Zivilrechts ein. Verkehrssicherungspflichten für einen eingerichteten und als solchen gekennzeichneten Behindertenparkplatz sowie Fragen eines etwaigen Mitverschuldens im Falle eines Unfalls sind daher im Lichte des Diskriminierungsverbots zu sehen.
BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 24.03.2016, Az.: 1 BvR 2012/13
Eine Anspruchskürzung gem. § 254 Abs. 1 BGB zulasten eines aufgrund einer Behinderung auf einen Rollstuhl angewiesenen Menschen verletzt nur dann nicht Artikel 3 Abs. 3 Satz 2 GG, wenn die fragliche Obliegenheit für Rollstuhlfahrer zum Zeitpunkt des Unfalls nach allgemeinem Verkehrsbewusstsein zum eigenen Schutz geboten war.
BVerfG, stattgebender Kammerbeschluss vom 10.06.2016, Az.: 1 BvR 762/16
1. Zur Wahrung des Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz (Artikel 19 Abs. 4 Satz 1 GG) muss im Eilverfahren so weit wie möglich die Schaffung vollendeter Tatsachen vermieden werden. Dies ist insbesondere bei der Prüfung des Anordnungsgrundes (Eilbedürftigkeit) maßgeblich.
2. Geht es um die Höhe eines Persönlichen Budgets (§ 17 SGB IX, § 57 SGB XII), wiegt es bei dieser Prüfung ersichtlich schwer, wenn die Weiterführung eines „Arbeitgebermodells“ für die Dauer eines Hauptsacheverfahrens in Frage gestellt ist.
3. Sind dem Vorbringen des Antragstellers gewichtige Anhaltspunkte dafür zu entnehmen, dass seine finanziellen Kapazitäten ausgeschöpft sind, kann die Eilbedürftigkeit nicht mit Hinweis auf die Erfüllung der finanziellen Verpflichtungen in der Vergangenheit verneint werden.
BVerfG, teilweise stattgebender Kammerbeschluss vom 10.09.2016, Az.: 1 BvR 1630/16
*Leitsätze des Gerichts und Orientierungssätze nach JURIS, jeweils redaktionell abgewandelt und gekürzt

Sachverhalt und Entscheidungsgründe
In den beiden ersten Fällen hatten die Beschwerdeführer nach Erschöpfung des Zivilrechtsweges Verfassungsbeschwerde erhoben und im Wesentlichen jeweils vorgetragen, in ihren Grundrechten aus Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG und Art. 2 Abs. 1 GG, im Verfahren 1 BvR 2012/13 explizit auch iVm Art. 20 UN-BRK (allgemeine Handlungsfreiheit und Grundrecht auf Mobilität), verletzt zu sein. Das  Bundesverfassungsgericht hat der Verfassungsbeschwerde jeweils stattgegeben.
Im ersten Fall hat es festgestellt, dass der Beckengurt des Elektrorollstuhls des Beschwerdeführers  allein der Sicherung beim Transport in einem Kfz dient und seine Nutzung in anderen Situationen unter Gleichbehandlungsgesichtspunkten gerade nicht verlangt werden kann. Im zweiten Fall hat das BVerfG klargestellt, dass eine nicht rollstuhlgerechte Ausstattung eines Behindertenparkplatzes eine Benachteiligung behinderter Menschen bedeutet.
Diese in grundrechtlicher Hinsicht bedeutsamen Feststellungen des Bundesverfassungsgerichts zum behinderungsrechtlichen Gleichbehandlungsgebot gehen einher mit einer deutlichen Kritik an den von den Beschwerdeführern angegriffenen Entscheidungen der Zivilgerichte. Es ist davon auszugehen, dass dies Auswirkungen auf die Spruchpraxis der ordentlichen Gerichtsbarkeit haben wird.
Im Verfahren 1 BvR 1630/16 erhielt der Beschwerdeführer vom Sozialhilfeträger ein Persönliches Budget, mit dem er in einer eigenen Wohnung wohnen und die ambulante Versorgung selbst  organisieren kann, indem er Assistenzkräfte beschäftigt (sog. Arbeitgebermodell). Mit seinem Antrag, sein Persönliches Budget im Wege der einstweiligen Anordnung (Eilverfahren) zu erhöhen, war er vor den Sozialgerichten erfolglos.
Seinen Eilantrag hatte er u.a. mit seiner aktuellen finanziellen Situation begründet, u.a. stand die Fortsetzung des Arbeitgebermodells in Frage. Das LSG hatte insbesondere deshalb keine  Eilbedürftigkeit gesehen, weil die finanziellen Verpflichtungen aus dem Arbeitgebermodell in der  Vergangenheit erfüllt worden waren. Im Ergebnis sah das BVerfG hierin einen Verstoß gegen das Grundrecht auf effektiven Rechtsschutz.
Ohne nähere Befassung mit dem Vorbringen des Antragstellers hätte die Dringlichkeit – auch wegen der Bedeutung der Fortsetzung des Arbeitgebermodells – nicht mit dem schlichten Verweis auf dessen bisherige Leistungsfähigkeit verneint werden dürfen. Mit der Entscheidung stärkt das BVerfG die Position von Budgetnehmern in Eilverfahren insbesondere im Hinblick auf die vorstehend benannten  Aspekte.